SunQuest - die Komplettausgabe 2800 Seiten zum Sonderpreis: Dies Cygni und Quinterna (German Edition)
steigerte sich so sehr, dass die Exilkönigin glaubte, die Luft knirschen zu hören.
Die Kriegsmaschinen mit den eisernen Bohrköpfen waren bereits zum Lebern erwacht, ihre Klingenspitzen wirbelten wie rasende Zähne. Ob sie sich durch die Mauern schleifen oder einen Gang durch das Grundgestein unter Thel-Ryons Wehr beißen sollten, war ungewiss.
Je näher Aliandur der Stadt kam, desto langsamer schien die Zeit zu fließen. Hatte Seiya zunächst empfunden, dass das Heer den Horizont mit Siebenmeilenschritten hinter sich ließ, so schienen es jetzt nur noch Trippelschritte zu sein.
Schließlich kam die Phalanx ganz zum Stehen. Raunen huschte durch den Wehrgang – was hatte Aliandur vor? Ein breiter Gürtel weißen Gesteins trennte die Heerlinie von den Mauern der Stadt. Unter den lauernden Blicken der Verteidiger stieg Aliandur von seinem eisernen Ross.
Zwei offensichtlich hochrangige Würdenträger des Ordens eilten auf ihn zu, vermutlich seine Berater oder Stellvertreter. Ohne Thel-Ryon auch nur eines Blickes zu würdigen, zog Aliandur sich hinter seine Linie zurück. Keine großartige, herausfordernde Ansprache, keine beleidigenden Gesten. Vorerst – nichts.
Die Kriegsmaschinerie wurde nach Thel-Ryon ausgerichtet – die Bohrmechaniken unter heller Befeuerung, die Rammen und Katapulte einsatzbereit. Die Kämpfer, jeder einzelne unter schweren Waffen, warteten weiter ab. Niemand, der seine Flinten mit Kugeln belud, kein Schwertziehen und Bogenspannen, kein Feuerschlagen für Kanonen.
Dennoch blieb das Heer in ständiger Bewegung. Der Tross von Marketendern traf ein. Fliegende Händler, Näherinnen, Eisenwarenverkäufer und Fetischknüpfer; Kräuterweise, Wunderärzte und Scharlatane; Garköche, Rüstungsmacher und Bader; Huren und Lustknaben. Innerhalb kürzester Zeit entstand am Rand des Heeres, ausreichend entfernt von der Front, eine kleine, bunt gewürfelte Stadt aus Ständen, Planwagen, Zelten und Buden, viele aus den sonderbarsten Einzelteilen zusammengeschnürt. Überall flatterte und klimperte es, bunte Wimpel und Aushängeschilder verzeichneten die verschiedensten Berufungen, bald roch es nach Parfüm, alchemistischen Tinkturen und schmorendem Essen.
Die Verteidigung von Thel-Ryon, Seiya mitten darunter, stand auf der Brüstung und bestaunte das hellbunte, lärmende Treiben.
»Er richtet sich auf eine längere Belagerung ein«, sprach der Hauptmann der Stadtwache schließlich aus, was alle dachten. »Er wird uns demnach vorerst nicht angreifen.«
»Was werdet Ihr jetzt tun?« Paxedis’ Raubvogelstimme schnitt das drohende Schweigen wie mit dem Skalpell.
Die Exilkönigin fühlte eine Menge Augenpaare auf sich gerichtet. »Wir warten ab«, antwortete sie schließlich und sah Paxedis in die Augen, »wen er als Unterhändler schickt. Kommt ein Stellvertreter, dann hören wir uns an, was er zu sagen hat. Kommt Aliandur selbst in unsere Reichweite, töten wir ihn auf der Stelle.«
Die Gildenrichterin hob die Brauen. »Ihr brecht das Kriegsrecht, wenn Ihr ihn töten lasst, obwohl er zum Verhandeln kommt. Aber das wisst Ihr sicherlich.«
Seiya zuckte die Achseln. »Wir sind über den Zeitpunkt hinaus, um uns Gedanken über unsere edle Gesinnung zu machen. Aliandur ist der Feind, egal was er zu sagen hat, er ist der Anführer und Initiator des Krieges. Tötet ihn jetzt, und der Krieg ist vorbei, ehe er begonnen hat. Glaubt mir, Paxedis, wenn ich eines auf meinen Reisen gelernt habe, dann dies: Den Unterschied zwischen dem richtigen und dem falschen Moment zu erkennen.«
Auf diese Worte lächelte Paxedis zum ersten Mal nicht wie ein Messer. »Vielleicht wusste Earl Hag doch, was er tut.«
Seiya schaute jetzt durch das Fernrohr aus Messing, und die kristallene Linse an seinem Ende versetzte sie mit einem einzigen Lidschlag plötzlich mitten in Aliandurs Streitmacht hinein. Sie sah die wettergegerbten, vernarbten und tätowierten Gesichter der Krieger, die bunte Kleidung der Händler, Abzeichen und Münzen an den Hüfttüchern der käuflichen Liebesdienerinnen – und dann entdeckte sie Aliandur.
Es schlug wie ein Blitz in ihrem Herzen ein. Plötzlich war alles wieder da, ihre Gefangenschaft und Folter, die Flucht, die Schlacht.
Das Drachenwesen bewegte sich trotz seiner gewaltigen Größe mit der fließenden Kraft einer gefesselten Sturmflut. Seine Augen, kalt und gelb und schwarz geschlitzt, übten selbst auf die Entfernung einen lähmenden Zwang auf Seiya aus; als könne er nur durch einen Blick
Weitere Kostenlose Bücher