SunQuest - die Komplettausgabe 2800 Seiten zum Sonderpreis: Dies Cygni und Quinterna (German Edition)
die große Brücke von Burg Hag.
»Weiß nicht. Aber ich denke, es ist einen Blick wert, oder auch zwei.«
»Meinst du, er hat uns etwas vorenthalten, Pong?«
»Würdest du ganz und gar belanglose Dokumente in einem
unsichtbaren Zimmer
verstecken?« Pong schüttelte sich, dass seine ausgefahrenen Stachelkämme klapperten. »Ich nicht.«
Seiya kam zu dem gleichen Schluss; es hatte den Anschein, als müsse sie den Thel-Ryonern, deren Schicksal sie in Händen hielt, misstrauen.
Vielleicht
, dachte sie später, als sie erneut mit Pong aufbrach, um mehr herauszufinden,
täuschen wir uns auch. Vielleicht gibt es hinter dieser Tür tatsächlich nichts zu finden
.
So recht glauben mochte sie es aber nicht.
Anders als auf ihrem schattenleisen Weg aus der in düsterrote Nacht gehüllten Burg fühlte Seiya sich nicht wohl damit, sich in das
Gedächtnis
hineinzustehlen. Womöglich gab ihr Earl Hags Siegel jedes Recht – aber sie empfand es deshalb noch lange nicht als solches. Pong fand sich leichter damit ab: Er zwitscherte und trillerte, natürlich nur ganz leise, und kletterte auf und ab an ihr, bis die Prinzessin ihn in einer Tasche festsetzte. Pongs Kopf tauchte zwar sofort wieder auf, aber der Rest von ihm blieb, wohin Seiya ihn verbannt hatte – er verhielt sich ganz still und verfolgte jeden Schritt ihrer Nachtwanderung mit blanken, schimmernden Augen.
Unten in der Stadt brannten nur noch kleine Notlichter, nicht mehr die Festbeleuchtung von einst, wenn die Nachtmärkte ihre Waren feilboten. Genau wie Burundun schlief Thel-Ryon nie, und selbst in kleinen Gassen war zumindest eine Öllampe angebracht. Doch nun lag der Großteil der Stadt unter Schatten verborgen, nur gelegentlich von kleinen Lämpchen aufgehellt. Die patrouillierenden Wachen trugen Laternen, und so geisterten schwankende Lichter durch die sonst leeren Straßen.
Das
Gedächtnis
war nicht bewacht, aber abgeschlossen.
»Lass nur!«, tschilpte Pong unter fröhlichen grünen Farbenschauern, als Seiya überlegte, ob sie das Schloss vereisen und dann zerbrechen sollte. »Ich mach das schon, Prinzessin!«
Ein zarter Windhauch, und Pong segelte auf weit gespreizten Flügeln auf die Eisenpforte des
Gedächtnisses
zu; krallte sich am hölzernen Schmuckrahmen fest – und schlüpfte mühelos durch das Schlüsselloch in das Schloss hinein.
Seiya hörte es knacken und klicken – und dann sprang das Schloss auf.
Pongs schlängelte sich, Schwanz voran, aus dem Schlüsselloch hervor. Seiya streckte ihre Hände aus, und der kleine Drache ließ sich hineinfallen.
»Siehst du?«, kicherte er.
»Gut gemacht, Pong!« Seiya zwinkerte. »Was würde ich nur ohne dich machen!«
»Ja«, nickte der kleine Drache, »das höre ich öfter!«
Seiya zerbiss ein Lachen auf den Lippen und setzte das winzige Nanogeschöpf in ihrem Perlenkopfschmuck ab.
»Komm, Herr Pong«, sagte sie, »brechen wir in das
Gedächtnis
ein.« Pong keckerte kaum hörbar.
Die Dunkelheit im Inneren war gesprenkelt vom Streulicht, das durch die hohen Fenster fiel; im letzten Moment konnte Seiya die kleine Flamme wieder ersticken, die sie in dem Windlicht in ihrer Hand hatte aufzüngeln lassen – der winzige Schein könnte sie schon verraten. Sie sollte auch den Fenstern fernbleiben.
Die Prinzessin im Exil lauschte, aber es war alles still. So stand sie mit Pong auf ihrem Kopf bald vor dem
unsichtbaren Zimmer
. »Pong? Du bist wieder dran.«
Der winzige Drache schlüpfte in das Lawantenmaul des Zierschlosses.
Und – das Schloss schnappte zu. Ihm wuchsen mit einem Mal lange, dünne Zähne, die es wie ein Fallgitter verschlossen.
Mit einer Stimme wie reißendes Eisen begann der Lawantenkopf zu schreien.
»Diebe!«, brüllte er. »Diebe! Zu Hilfe!«
Pong schrie auch. Seine zirpende Stimme ging in dem grässlichen, rostigen Kreischen beinah unter. »Seiya!«, fiepte er, »Seiya, tu etwas!«
Die Exilkönigin stand wie festgezaubert. Ein
Wachhund!
Diese Schlossfallen waren Artefakte ganz besonderer Art, selten und äußerst kostbar. Eine Unterart des Eisengolems, eine geschaffene psimagische Kreatur, ihrem Besitzer treu ergeben.
Pongs Pfeifen und Schrillen riss ihr an den Ohren.
Das Brüllen des
Wachhundes
rollte durch die dunklen Hallen, es war nur eine Frage der Zeit, bis er seinen Herrn aufweckte. Seiya hatte keine Angst vor ihm, wer immer es auch sei (Carlim?) – aber es würden Fragen gestellt werden, und darauf konnte sie verzichten. Sie musste den
Wachhund
zum Schweigen bringen,
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