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Sunrise: Das Buch Joseph (German Edition)

Sunrise: Das Buch Joseph (German Edition)

Titel: Sunrise: Das Buch Joseph (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Patrick Roth
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den Moment des Verlusts, ihn teilend in immer kleinere Teile, tiefer hinsehend und tiefer noch. Als hinge, an die kleinste der Zeitscherben sich klammernd, der Finger des Kindes noch. Der Finger, an dem er ihn noch entzöge der Welle. Der Finger, an dem die Schuld Josephs sich aufheben ließe, dem Fluthgrab sich entheben ließe das Kind.
    Zurück in die Hand ihm.
    Da aber, einmal, nach unzähligem Lesen solcher Teile, größerer, kleinerer, kleinster, sagte Joseph bei sich:
    ›Nicht ich habe ihn ja verloren, sondern er wurde mir ausgestoßen. Aus der Hand mir gestoßen, zurückgetaucht in die Wasser, hinabgefahren ins Dunkel von anderer Hand. Und von welcher?‹
    Und später, wie irre werdend daran, je länger er sie zusammenlas, seine Scherben, setzte er sich an einen Hügel und sprach:
    ›Drei rangen ihn mir aus sicherer Hand: Die Woge, die auf mich stieß und den Griff aufschlug meiner Hände. Er selbst, der windend zurückstrebte im Schrei. Die Frau, die reckend Hände aussandte nach ihm.
    Aber – nun seh ich’s doch ein – erst ein viertes trug ihn davon mir. Dieses vierte mußte nicht ringen um ihn, da es alles entschied. Denn weil ich mein Leben – die Linke hinabfahrend zur Sicherung, mein Leben zu sichern vor dem Absturz ins Meer –, weil ich mein Leben sichern wollte, starb er, mein Jesus. Weil ich mein Leben retten wollte, war die Linke zu hastig-rasch-feig und die Rechte zu schwach, standzuhalten dem Schlag. Weil ich mein Leben retten wollte, zu schwach, um festzuhalten im Griff den sich windenden Kleinen. Weil ich mein Leben retten wollte: war mein Leben zu schwach, auf die Hände der Mutter zu warten, die ihm Leben gegeben und ihn wiederempfangen wollte.‹
    Kapitel 18. Der Befehl
    Und Joseph mied in den ersten Tagen das leere Grabmal, in dessen Nähe der Sturm ihn gebracht hatte. Sondern wanderte dort umher und hielt sich auf in den Bergen um jenen Ort. Ging aber nicht hin.
    Denn noch sah er nicht, wie sie verbunden waren, die Orte, und warum ihn die Rettung des Sklaven über Nazaret fliehen ließ bis zurück über den See, ans Ufer seines Verlorenen.
    Und noch sah er nicht, wer die Orte und Zeiten verband, daß auferstünde der an die Tiefen Verlorene.
    Sondern Joseph sah nur Verlorenheit.
    Und er mied auch die Dörfer, die Stadt, wollte keine Begegnung. Sehnte sich aber zu sehen seine Frau, die Maria, als wüßte sie, wo zu finden wär der Vertriebene, und wüßte, dem Einsamen zu erscheinen im Traum, wäre es Zeit.
    Da traf er auf einen Mann, unweit des Steilhangs der Küste, der machte sich bei verlassenen Grabhöhlen zu schaffen.
    Aber nicht wie einer, der hier bestatten wollte oder gekommen war, das Grab eines Nächsten zu suchen. Sondern der Mann ging ein in die Höhlen und trat heraus, wie einer der nichts anderes mehr hatte. Denn er bewohnte die Gräber.
    Und Joseph, als er ihn sah, rief ihm nicht zu, sondern beobachtete ihn.
    Und je länger Joseph die Sicht zuließ, seine Augen nicht schloß vor dem Mann und nicht weiterzog, desto stärker empfand Joseph Verwandtschaft mit ihm. Es war aber die Ahnung, über jedes Mitleid hinaus, daß für Joseph ähnliches Schicksal bereitstünde. Als sage ihm jemand: ›Hier, sieh dich an. Denn wohin willst du mit dir?‹
    Und Joseph sah den Mann:
    Im Schatten saß er. Kauernd am Eingang zum offenen Grab.
    Da bemerkte Joseph, daß der Mann sich wandte, ins Grab zu lauschen. Und als habe ihm jemand aus dem Innern der Höhle zugerufen, ihm etwas befohlen, begann der zu nicken.
    Joseph aber hatte nichts vernommen.
    Da sah er den Mann, wie der aufhob einen der dunkelfleckigen Steine, die vor ihm lagen am Eingang. Nämlich als habe ihm der andere aus der Höhle heraus zugerufen:
    ›Nimm auf den Stein!‹
    Joseph aber hatte nichts vernommen.
    Und der Mann hob den Stein, hob ihn zitternd. Denn er war schwer. Hob ihn zitternd aber auch, als warte er, daß der andere ihm nochmals von innen her zurufe, was zu tun sei damit.
    Und kurz darauf wieder schien’s Joseph, als habe der Mann Befehl empfangen aus dem Innern der Höhle. Aber ohne daß Joseph hörte, was ihm befohlen.
    Da, noch im Kopfnicken, drosch der Mann mit dem Stein herab auf die eigene Hand, seine rechte. Schrie auf vor Schmerz. Und hieb nochmals ein.
    Hieb ein und hieb wieder.
    Und von neuem.
    Und wieder.
    Und schlug seine Hand, bis die Linke, die aufhob und zuschlug, ermüdete und sein Schreien, so heiser geworden, nur noch ein Krächzen war.
    Da ließ er den Stein, der fiel hin vor ihn,

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