Sunset - King, S: Sunset - Just After Sunset
erwähne: Sheila und ich wurden in unserem Elternhaus, wo wir ein paar Reparaturen machen wollten, eingeschneit. Wir genehmigten uns ein paar Gläschen und tanzten zu alten Beatles- und Stones-Platten. Es war wirklich nett.]
Die Kette hing noch immer über dem Weg, und der Schlüssel passte ins Schloss. Die gefällten Bäume waren zur Seite geräumt worden – wie von mir nicht anders erwartet. Es hatte keinen Sinn mehr, den Weg zu blockieren, weil dieses Feld jetzt mein Feld ist. Die Steine sind jetzt meine Steine, und für das, was sie bewachen, bin nun ich verantwortlich.
[Ich frage ihn, ob er Angst hatte. Natürlich, denke ich mir. Aber N. überrascht mich.]
Eigentlich nicht besonders. Der Ort hatte sich nämlich verändert. Schon an der Abzweigung des Weges von der Route 117 spürte ich es. Und ich konnte das Schreien der Krähen hören, als ich das Schloss aufsperrte. Normalerweise ist das für mich ein hässliches Geräusch, doch an diesem Tag klang es unglaublich besänftigend. Ohne hochtrabend sein zu wollen, es klang wie die Erlösung.
Ich war mir sicher, dass unten auf dem Ackerman’s Field acht Steine auf mich warteten, und ich hatte Recht. Ich wusste, dass sie weniger kreisförmig wirken würden, und auch das stimmte. Sie sahen aus wie zufällige Formationen des felsigen Untergrunds, die durch eine tektonische Verschiebung oder durch einen schmelzenden Gletscher vor achtzigtausend Jahren freigelegt worden waren, oder durch eine Überschwemmung jüngeren Datums.
Auch andere Dinge begriff ich jetzt. Ich hatte diesen Ort allein durch meinen Blick aktiviert. Das menschliche Auge entfernt den achten Stein. Eine Kameralinse kann ihn zwar zurückbringen, aber nicht an Ort und Stelle fixieren. Ich musste den Schutz durch symbolische Handlungen auffrischen.
[Er hält nachdenklich inne und wechselt dann das Thema.]
Wussten Sie eigentlich, dass Stonehenge möglicherweise eine Mischung aus Uhr und Kalender war?
[Ich antworte, dass ich das irgendwo einmal gelesen habe.]
Die Leute, die diese und ähnliche Stätten errichtet haben, müssen gewusst haben, dass sie die Zeit mit einer simplen Sonnenuhr ablesen können. Und was den Kalender angeht, ist bekannt, dass prähistorische Menschen in Europa und Asien die Tage einfach durch Markierungen auf geschützten Felswänden unterschieden.Was heißt das nun für Stonehenge, wenn es tatsächlich eine Mischung aus Uhr und Kalender war? Dass dort in einem Feld von Salisbury ein gewaltiges Monument für zwangsneurotisches Verhalten steht.
Außer natürlich, es dient nicht nur als Anzeige von Stunden und Monaten, sondern auch als Schutzvorrichtung. Gegen ein wahnsinniges Universum, das zufällig gleich an unseres grenzt. An manchen Tagen, vor allem im letzten Winter war’s so, fühle ich mich fast wieder so wie früher. Da bin ich mir sicher, dass das Ganze nur Quatsch ist, dass alles, was ich dort draußen im Ackerman’s Field gespürt und gesehen habe, nur in meinem Kopf passiert ist. Dass dieser ganze zwangsneurotische Kram bloß ein mentales Stottern ist.
An anderen Tagen dagegen – im Frühling ging es wieder los damit – steht für mich fest, dass alles wahr ist: Ich habe irgendetwas aktiviert. Und dadurch habe ich als bisher letzter Repräsentant einer langen Reihe von Menschen, die vielleicht bis in prähistorische Zeiten zurückreicht, den Stab übernommen. Ich weiß, das klingt verrückt. Warum sonst sollte ich es einem Psychiater erzählen? Es gibt ganze Tage, da habe ich nicht den geringsten Zweifel, dass es verrückt ist . Auch wenn ich Dinge zähle und bei meinem abendlichen Rundgang durchs Haus Lichtschalter und Herdplatten berühre, bin ich mir sicher, dass das alles nur … also … schlechte Chemie in meinem Kopf ist, die man mit den richtigen Pillen schon wieder hinkriegen wird.
Vor allem im Winter dachte ich das, als alles gut lief. Oder zumindest besser. Im April wurde es dann wieder richtig schlimm. Ich zählte mehr, berührte mehr und ordnete alles, was nicht niet- und nagelfest war, zu Kreisen oder Diagonalen. Meine Tochter – die, die hier studiert – zeigte sich wieder beunruhigt über mein Aussehen und meine Schreckhaftigkeit. Sie fragte mich, ob es an der Scheidung liege, und als ich verneinte, schaute sie mich zweifelnd an. Dann drängte sie mich, »jemand aufzusuchen« – und jetzt bin ich eben hier.
Ich hatte wieder Alpträume. Im Mai wachte ich eines Nachts schreiend auf dem Schlafzimmerboden auf. Im Traum hatte ich ein
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