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Sunset - King, S: Sunset - Just After Sunset

Titel: Sunset - King, S: Sunset - Just After Sunset Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Stephen King
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Gesundheitsprobleme Akne und Sportverletzungen waren, englische Literatur beizubringen).
    »Er ist ganz zerfressen«, sagte Ralph.
    Meine Schwägerin Trudy sagte: »Er ist dem Tod geweiht.« Im ersten Augenblick glaubte ich, sie hätte gesagt, »er ist dem Tod geneigt«, was mir als irritierend poetisch erschien. Ich wusste, es konnte nicht sein, nicht von ihr, aber ich wollte, dass es so war.
    »Er wird ausgezählt«, sagte Ruth.
    »Und soll nicht mehr aufstehen« – das sagte ich nicht, aber ich dachte es mir. Weil er zu leiden hatte. Das war 1982, vor fünfundzwanzig Jahren. Bei Krebs im Endstadium wurden Schmerzen damals noch als unvermeidlicher Teil der Krankheit angesehen. Zehn oder zwölf Jahre später las ich, dass die meisten Krebspatienten still und leise starben, weil sie zu schwach waren, um vor Schmerzen zu brüllen. Das weckte so starke Erinnerungen an meinen Vater auf seinem Sterbebett, dass ich ins Badezimmer ging und mich vor die Toilettenschüssel kniete, davon überzeugt, ich müsste mich gleich übergeben.
    Mein Vater allerdings starb dann erst vier Jahre später, 1986. Er lebte in einem betreuten Seniorenwohnheim, und er wurde auch nicht von Bauchspeicheldrüsenkrebs dahingerafft. Er erstickte an einem Bissen Steak.
    Don »Doc« Gentry und seine Frau Bernadette – mein Vater und meine Mutter – hatten sich nach seiner Pensionierung in einen Vorort von Ford City zurückgezogen, nicht weit von Pittsburgh entfernt. Nach dem Tod seiner Frau überlegte Doc, ob er nach Florida ziehen solle, aber er glaubte, es sich nicht leisten zu können, weshalb er in Pennsylvania blieb. Nachdem bei ihm Krebs diagnostiziert wurde, verbrachte er kurze Zeit im Krankenhaus, wo er allen eingehend erklärte, dass sein Spitzname von seiner Arbeit als Tierarzt herrühre. Nachdem er das jedem, der es hören wollte, klargemacht hatte, wurde er zum Sterben nach Hause geschickt, und die noch übrige Familie – Ralph, Trudy, Ruth und ich – kam nach Ford City, um ihm beim Sterben beizustehen.
    Ich kann mich sehr gut an sein Schlafzimmer erinnern. An der Wand hing ein Bild von Christus, der die Kinderlein zu sich kommen ließ. Auf dem Boden ein Flickenteppich, den meine Mutter gewebt hatte: Er bestand aus ekelerregenden Grüntönen und war nicht einer ihrer besten. Neben dem Bett ein Infusionsständer mit einem Aufkleber der Pittsburgh Pirates. Jeden Tag näherte ich mich diesem Zimmer mit größerer Angst, und jeden Tag wurden die Stunden, die ich dort verbrachte, länger. Ich erinnerte mich an Doc, wie er auf der Verandaschaukel saß, damals in Derby, Connecticut, wo mein Bruder und ich aufgewachsen sind – eine Bierdose in der einen Hand, eine Zigarre in der anderen, die Ärmel seines blendend weißen T-Shirts immer doppelt umgeschlagen, damit die glatte Rundung seines Bizeps und die tätowierte Rose über dem linken Ellbogen sichtbar wurden. Er gehörte einer Generation an, die sich nicht komisch dabei vorkam, in dunkelblauen, nicht ausgebleichten Jeans herumzulaufen – und die Jeans noch »Nietenhosen« nannte. Er kämmte sich das Haar wie Elvis und sah leicht verwegen aus, wie ein Seemann nach zwei Drinks bei seinem Landgang, der übel enden würde. Er war ein großer Mann, der sich wie eine Katze bewegte. Und ich erinnerte mich an ein sommerliches Straßenfest in Derby, wo er und meine Mutter mit einem Jitterbug zu »Rocket 88« von Ike Turner und den Kings of Rhythm den Laden aufmischten. Ralph war damals sechzehn, glaube ich, und ich elf. Uns blieb der Mund offen, als wir unsere Eltern so sahen, und zum ersten Mal verstand ich, dass sie es in der Nacht machten, dass sie es nackt machten und keinen einzigen Gedanken an uns verschwendeten.
    Mit achtzig, gerade aus dem Krankenhaus entlassen, war aus meinem irgendwie gefährlich anmutigen Vater ein Skelett im Pyjama geworden (auf dem das Pirates-Emblem prangte). Seine Augen lauerten unter ungestümen, buschigen Brauen.Trotz zweier Ventilatoren schwitzte er ständig, und der Geruch, den seine feuchte Haut verströmte, erinnerte mich an alte Tapeten in einem leerstehenden Haus. Sein Atem trug den Hauch der Verwesung in sich.
    Ralph und ich waren alles andere als vermögend, aber als wir unser Geld zusammenwarfen und den Rest von Docs eigenen Ersparnissen dazugaben, reichte es aus, um eine Teilzeitpflegekraft und eine Haushälterin anzustellen, die fünf Tage in der Woche vorbeikam. Sie machten ihre Sache ganz gut, hielten den Alten sauber und wechselten die Wäsche,

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