Sunset - King, S: Sunset - Just After Sunset
Körper ein leerer Schacht und jemand hätte ein großes Möbelstück in ihn hinabgeworfen.Aber es gelang ihr, nicht mit dem Kopf auf den Steinplatten aufzuschlagen. Und sie hatte das Gefühl, sich kein Bein gebrochen zu haben, obwohl sich das erst beim Aufstehen erweisen würde.
Sie prallte mit solcher Wucht gegen einen metallenen Terrassentisch, dass er umkippte. Dann rappelte sie sich auf, noch immer nicht sicher, ob ihr Körper unversehrt genug war, um sich auf den Beinen zu halten, bis er es tatsächlich schaffte. Sie blickte hoch und sah Pickering aus dem zerbrochenen Fenster spähen. Sein Gesicht war zu einer wütenden Grimasse verzerrt, und er fuchtelte mit dem Messer.
»Stehen bleiben!«, schrie er. »Hör auf wegzulaufen und halt still!«
Das könnte dir so passen, dachte Emily. Der letzte Rest des nachmittäglichen Regens war zu Nebel geworden, der ihr emporgewandtes Gesicht mit Tau benetzte. Es fühlte sich himmlisch an. Sie reckte den Stinkefinger hoch und schüttelte ihn mit Nachdruck.
Pickering brüllte: »Du hast mir nicht den Stinkefinger zu zeigen, du Fotze!« und warf das Messer nach ihr. Es traf nicht mal in ihrer Nähe auf, sondern zersprang klirrend auf den Steinplatten und schlitterte in zwei Teilen unter den Gasgrill. Als sie wieder aufblickte, war das zerbrochene Fenster leer.
Die Stimme ihres Vaters sagte ihr, dass Pickering herunterkam, aber Em brauchte nicht erst gewarnt zu werden. Mit leichtem Schritt, trat sie, ohne zu hinken – obwohl sie das vielleicht dem Adrenalinschub verdankte -, an den Rand der Terrasse und sah hinunter. Es war nur ein mickriger Meter bis auf den Sand mit dem Strandhafer. Verglichen mit dem Sprung, den sie gerade überlebt hatte, ein Klacks. Jenseits der Terrasse lag der Strand, wo sie so viele Morgenläufe absolviert hatte. Sie blickte zur anderen Seite, zur Straße hin, aber das brachte nichts. Die hässliche Betonmauer war zu hoch. Und Pickering nahte schon. Und wie.
Sie stützte sich mit der Hand auf der Eingrenzung aus Schmuckziegeln ab und sprang hinunter auf den Sand. Der Strandhafer kitzelte sie an den Schenkeln. Sie hastete über die Düne zwischen dem Bunker und dem Strand, zog dabei immer wieder ihre zerrissenen Shorts hoch und warf prüfende Blicke über die Schulter. Nichts... noch immer nichts … und dann kam Pickering aus der Hintertür gestürzt, wobei er unentwegt brüllte, sie solle stehen bleiben. Er hatte die gelbe Regenjacke abgeworfen und sich irgendeinen scharfen Gegenstand geschnappt, den er mit der linken Hand schwenkte, während er den Weg zur Terrasse hinabrannte. Sie konnte nicht sehen, was es für ein Gegenstand war, und wollte es auch nicht. So dicht wollte sie ihn gar nicht erst herankommen lassen.
Sie würde ihn zweifellos abhängen können. Etwas an seiner Gangart ließ erkennen, dass er eine Weile schnell sein, dann aber bald nachlassen würde, mochten sein Irrsinn und seine Furcht vor der Entlarvung ihn auch noch so sehr anspornen.
Es ist, als hätte ich die ganze Zeit hierfür trainiert, dachte sie.
Und doch hätte sie fast einen verhängnisvollen Fehler begangen, als sie den Strand erreichte und sich gen Süden wandte. In dieser Richtung wäre sie nach weniger als einer Viertelmeile ans Ende von Vermillion Key gelangt. Natürlich konnte sie dann am Wächterhäuschen um Hilfe rufen (konnte sich förmlich die Lunge aus dem Hals schreien). Wenn Pickering jedoch Deke Hollis etwas angetan hatte – und sie fürchtete, dass dies der Fall war -, dann wäre es um sie geschehen.Vielleicht würde ein Boot vorbeikommen, zu dem sie hinüberschreien könnte, aber sie nahm an, dass Pickering längst kein Halten mehr kannte; inzwischen war er vermutlich bereit, sie auf der Bühne der Radio City Music Hall zu erstechen, während die Rockettes zuschauten.
Also wandte sie sich gen Norden, wo fast zwei Meilen leerer Strand zwischen ihr und der Grashütte lagen. Sie zog die Turnschuhe aus und rannte los.
10
Was sie nicht erwartet hatte, war die Schönheit.
Es war nicht das erste Mal, dass sie nach einem dieser kurzen, aber heftigen Nachmittagsstürme den Strand entlanglief, und das Gefühl der Feuchtigkeit, die sich auf Gesicht und Armen sammelte, war ihr vertraut. Ebenso das laute Tosen der Brandung (die Flut kam herein, und der Strand verschmälerte sich zu einem Streifen) und das intensive Aroma der Luft, ein Gemisch aus Salz, Seetang, Blumen, nassem Holz. Sie hatte erwartet, dass sie Angst haben würde – so wie wohl Leute im
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