Sunset - King, S: Sunset - Just After Sunset
Schneckenmuschel, ein in einem Plexiglaswürfel eingegossenes Centstück aus Stahl und einen Keramikpilz (rot mit weißen Punkten), auf dessen Hut eine Keramik-Alice saß. Das Furzkissen hatte Jimmy Eagleton gehört und war jedes Jahr auf der Weihnachtsfeier ein paarmal zum Einsatz gekommen. Die Keramik-Alice hatte auf Maureen Hannons Schreibtisch gestanden – ein Geschenk von ihrer Enkelin, hatte sie mir einmal erzählt. Maureen hatte wunderschönes weißes Haar, das sie sehr lang, sogar taillenlang trug. Das sieht man in einem geschäftlichen Umfeld selten, aber sie war seit fast vierzig Jahren bei der Firma und fand, sie könne ihr Haar tragen, wie es ihr passe. Auch an die Schneckenmuschel und das stählerne Centstück konnte ich mich erinnern, wusste aber nicht mehr, auf wessen Schreibtisch (oder in wessen Büro) ich die beiden Dinge gesehen hatte. Das konnte mir noch einfallen – oder auch nicht. Bei Light and Bell, Versicherungen, hatte es viele Schreibtische (und Büros) gegeben.
Die Schneckenmuschel, der Pilz und der Plexiglaswürfel bildeten einen ordentlichen kleinen Haufen auf dem Couchtisch in meinem Wohnzimmer. Das Furzkissen lag – völlig zu Recht, wie ich fand – auf dem Spülkasten meiner Toilette neben der neuesten Ausgabe von Spenck’s Rural Insurance Newsletter. Dass landwirtschaftlicheVersicherungen früher mein Fachgebiet waren, habe ich schon erwähnt, glaube ich. Ich kannte mich gut mit Wahrscheinlichkeitsrechnung aus.
Wie hoch war die Wahrscheinlichkeit hierfür?
Wenn im Leben einmal etwas schiefgeht und man das Bedürfnis hat, darüber zu reden, dürfte die erste Regung den meisten Leuten eingeben, jemanden aus der Familie anzurufen. Für mich war das keine ernsthafte Option. Mein Vater hatte sich auf Französisch verabschiedet, als ich zwei war und meine Schwester vier. Meine Mutter, garantiert keine Drückebergerin, war allein durchgestartet und hatte uns zwei großgezogen, während sie von zu Hause aus die Verrechnungsstelle eines Versandhauses leitete. Meines Wissens hatte sie dieses Geschäft selbst aufgebaut und lebte nicht schlecht davon (nur das erste Jahr sei wirklich beängstigend gewesen, erzählte sie mir später). Aber sie qualmte wie ein Schlot und starb mit achtundvierzig an Lungenkrebs – sechs bis acht Jahre bevor das Internet sie zu einer Dot-Com-Millionärin gemacht hätte.
Meine Schwester Peg lebte zurzeit in Cleveland, wo sie Mary Kay Cosmetics, die Indianer und fundamentales Christentum in die Arme geschlossen hatte, nicht unbedingt in dieser Reihenfolge. Hätte ich Peg angerufen und ihr von den Dingen erzählt, die ich in meiner Wohnung vorgefunden habe, hätte sie mir geraten, niederzuknien und Jesus zu bitten, in mein Leben zu kommen. Ob das nun richtig war oder nicht: Ich hatte nicht das Gefühl, dass Jesus mir bei meinem gegenwärtigen Problem helfen könnte.
Ich besaß die übliche Ausstattung an Onkeln und Tanten, Cousins und Cousinen, aber die meisten lebten westlich des Mississippi, und wir hatten uns schon jahrelang nicht mehr gesehen. Die Killians (meineVerwandten mütterlicherseits) haben nie viel von Familientreffen gehalten. Eine Karte zum Geburtstag und eine zu Weihnachten galten als ausreichend, um alle familiären Verpflichtungen zu erfüllen. Eine Karte zum Valentinstag oder zu Ostern war dann sozusagen eine Dreingabe. An Weihnachten rief ich meine Schwester an, oder sie rief mich an, wir murmelten den Standardscheiß, dass wir uns »demnächst mal« treffen müssten, und legten dann beide irgendwie erleichtert auf.
Die nächste Option, wenn man in der Klemme saß, bestand vermutlich darin, einen guten Freund zu einem Drink in einer Bar einzuladen, ihm die Lage zu schildern und dann seinen Rat zu erbitten. Aber ich war ein schüchterner Junge, der zu einem schüchternen Mann herangewachsen war, arbeite in meinem jetzigen Beruf als Rechercheur allein (weil mir das am liebsten ist) und habe also keine Kollegen, die sich zu Freunden entwickeln könnten. In meinem vorigen Beruf war ich mit ein paar Kollegen befreundet – mit Cleve Farrell und Sonja, um nur zwei zu nennen -, aber die sind jetzt natürlich tot.
Wenn ich schon keinen Freund hatte, überlegte ich mir, sei es das Nächstbeste, sich einen zu mieten. Eine kleine Therapie konnte ich mir durchaus leisten, und ich glaubte, ein paar Sitzungen (vier würden vielleicht genügen) auf der Couch irgendeines Psychiaters gäben mir ausreichend Gelegenheit, die Ereignisse zu schildern
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