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Sunset - King, S: Sunset - Just After Sunset

Titel: Sunset - King, S: Sunset - Just After Sunset Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Stephen King
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ihren Airconditioner wieder zum Laufen brachte, und als die kühle Luft aus dem Konvektor zu strömen begann, strahlte sie übers ganze Gesicht. Ich weiß auch, dass das wahr ist, diese Sache mit der Umkehrung unserer Wahrnehmung, so dass wir erkennen, dass die Dinge, die wir erfasst zu haben glaubten, in Wirklichkeit uns erfasst halten. Uns vielleicht gefangen halten – Thoreau dachte das jedenfalls -, aber auch sicher an unserem Platz halten. Das ist der Ausgleich. Und unabhängig von Thoreaus Meinung glaube ich, dass dieser Tauschhandel meist fair verläuft. Oder habe es jedenfalls damals geglaubt; heute bin ich mir meiner Sache nicht mehr so sicher.
    Und ich weiß, dass diese Dinge Ende August 2002 passierten, nicht ganz ein Jahr nachdem ein Stück des Himmels herabgestürzt ist und sich alles für uns alle geändert hat.
    Eines Nachmittags – ungefähr eine Woche nachdem Sir Scott Staley seine Barmherziger-Samariter-Rüstung angelegt und den schrecklichen Airconditioner besiegt hatte – machte ich meinen Nachmittagsspaziergang zu Staples in der 83rd Street, um eine Box Zip-Disketten und eine Packung Schreibpapier zu kaufen. Ich war einem Kerl vierzig Seiten Hintergrundinformationen über die Entwicklung der Polaroidkamera schuldig (die eine interessantere Geschichte ist, als man vielleicht glauben würde). Als ich in meine Wohnung zurückkam, lag auf dem kleinen Tisch in der Diele, auf dem ich Rechnungen, die bezahlt werden müssen, Abholscheine, Mahnungen wegen überfälliger Bibliotheksbücher und dergleichen Dinge aufbewahre, eine Sonnenbrille mit rotem Gestell und sehr charakteristischen Gläsern. Ich erkannte die Gläser augenblicklich und spürte, wie mich alle Kraft verließ. Ich kippte zwar nicht um, ließ aber meine Einkäufe zu Boden fallen, lehnte mich innen gegen die Wohnungstür und versuchte, wieder zu Atem zu kommen, während ich diese Sonnenbrille anstarrte. Hätte es nichts zum Anlehnen gegeben, wäre ich vermutlich so ohnmächtig niedergesunken wie eine Miss in einem jener viktorianischen Romane, in denen immer, wenn es Mitternacht schlägt, der lüsterne Vampir auftritt.
    Zwei zusammenhängende, aber unterschiedliche emotionale Wellen brandeten über mich hinweg. Die erste war jenes entsetzte Schamgefühl, das man empfindet, wenn man weiß, dass man bei irgendeiner Handlung ertappt werden wird, die man niemals wird erklären können. Woran ich mich in dieser Beziehung erinnere, ist eine Sache, die mir einmal passiert ist – oder beinahe passiert ist -, als ich sechzehn war.
    Meine Mutter und meine Schwester waren in Portland einkaufen, und ich hatte das Haus vermeintlich bis abends für mich. Ich lag nackt auf meinem Bett und hatte mir einen Slip meiner Schwester um den Schwanz gewickelt. Übers Bett verstreut lagen Fotos, die ich aus Zeitschriften ausgeschnitten hatte. Ich hatte sie im Nebenraum der Garage entdeckt – vermutlich das geheime Lager des vorigen Hausbesitzers mit Magazinen wie Penthouse und Gallery . Ich hörte ein Auto über den Kies der Einfahrt knirschen. Der Klang dieses Motors war unverkennbar; das waren meine Mutter und meine Schwester. Peggy hatte sich irgendein Grippevirus geholt und angefangen, aus dem Fenster zu spucken. Sie waren bis Poland Springs gekommen und dort umgekehrt.
    Ich betrachtete die übers ganze Bett verstreuten Bilder, meine über den ganzen Fußboden verstreuten Klamotten und den Bausch rosa Viskose in meiner linken Hand. Ich weiß noch, wie alle Kraft aus mir hinausströmte, und erinnere mich an ein Gefühl schrecklicher Mattigkeit, das sie ersetzte. Meine Mutter rief nach mir – »Scott, Scott, komm runter, und hilf mir mit Peg, ihr geht’s ziemlich schlecht« -, und ich weiß noch, wie ich dachte: »Was soll’s? Sie haben dich erwischt. Damit musst du dich abfinden, sie haben dich erwischt, und dies ist das Erste, woran sie für den Rest ihres Lebens denken werden, wenn sie an dich denken: Scott der Wichskünstler.«
    Aber meistens schaltet sich in solchen Augenblicken eine Art Überlebens-Overdrive zu. So war es auch bei mir. Ich würde zwar untergehen, überlegte ich mir, aber nicht, ohne wenigstens versucht zu haben, mir meine Würde zu bewahren. Ich wischte die Fotos und den Slip unters Bett. Dann zog ich mich blitzschnell an, arbeitete mit tauben, aber griffsicheren Fingern und musste dabei die ganze Zeit an die verrückte alte Gameshow denken, die ich mir früher oft angesehen hatte: Beat the Clock .
    Ich weiß noch, wie meine Mutter

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