Sunshine Ranch 04 - Myriams letzte Chance
umzublicken.
Auf dem Rückweg sah sie, dass die Tür zum Stall offen stand. Sue schloss das Gebäude niemals ab, weil sie Angst hatte, dass nachts ein Feuer ausbrechen könnte und die Tiere dann gefangen wären. Aber sie achtete darauf, dass die Tür geschlossen war. Ob sie ebenfalls noch wach war und jetzt nach den Pferden sah?
Zögernd näherte sich Myriam dem Stall. „Hallo?“, rief sie leise, als sie die Tür erreicht hatte. Keine Antwort.
Sie trat ein. Die Dunkelheit umgab sie, als hätte ihr jemand einen Sack über den Kopf gestülpt. Einen Moment blieb sie stehen und starrte in die undurchdringliche Schwärze. Dann gewöhnten sich ihre Augen an die Finsternis und sie erkannte Schemen. Die Absperrung der Boxen, die Stallgasse. Gleich in der ersten Box neben dem Eingang war Dakota untergebracht, ein nervöser Colorado Ranger, der sich nur von Sue reiten ließ. Er hatte Myriam bemerkt und wieherte erschreckt. Die anderen Pferde wurden ebenfalls unruhig.
„Ist ja gut“, murmelte Myriam. „Ich wollte nur sehen, ob bei euch alles okay ist.“
Die Pferde schnaubten nervös. Dakota schlug mit seinen Hufen gegen die Box. Du liebe Zeit, hoffentlich weckte das Getrampel Sue nicht auf; sie würde bestimmt außer sich geraten, wenn sie Myriam im Stall entdeckte!
„Ich bin ja schon wieder weg“, flüsterte sie. „Schlaft schön.“
Sie war fast an der Scheune vorbei, als sie das Geräusch hörte. Es klang wie ein leises Seufzen. Oder vielmehr ein Stöhnen. Lag da etwa jemand in der Dunkelheit, der sich auf dem Weg zum Klo den Fuß verstaucht hatte?
„Hallo?“ Ihre eigene Stimme klang dünn und unsicher. Myriam räusperte sich.
Aber bevor sie etwas hinzufügen konnte, hörte sie das Seufzen noch einmal. Diesmal war es ein bisschen lauter.
Wie die Stalltür stand auch die Tür zur Scheune halb offen. Das kam oft vor, Washington und Heinrich hielten gerne zwischen den Schubkarren und Gartengeräten ihr Mittagsschläfchen. Heute Abend war Stefan jedoch mit seinem Hund nach Hause gefahren und Washington war im Haus bei Sue.
Myriam schob sich durch die Öffnung nach drinnen. Hier war es nicht ganz so dunkel wie im Stall, weil das Mondlicht trüb durch die schmutzigen Fensterscheiben unter dem Dach fiel.
Woher kam dieses Seufzen? Jetzt war nichts mehr zu hören. Vielleicht hatte sie sich getäuscht. Zögernd ging Myriam ein paar Schritte weiter und blickte sich dabei nach allen Seiten um.
Dann blieb sie abrupt stehen und unterdrückte im letzten Moment einen überraschten Aufschrei.
Charlie
Im Schuppen stand eine alte Gartenbank. Sue hatte sie dort abgestellt, um sie abzuschleifen und neu anzustreichen. Das war einige Jahre her, und inzwischen war nicht nur den Pferdemädchen klar, dass das niemals geschehen würde.
Auf der immer noch ungestrichenen Gartenbank saß Tom und in seinen Armen lag ein Mädchen. Und das Mädchen war nicht seine Freundin Ella.
Sondern April.
„ You’re such a great guy, Tom“ , hörte Myriam sie flüstern.
Statt einer Antwort beugte Tom sich zärtlich über April und küsste sie. April seufzte vor Glück und Myriam unterdrückte einen wütenden Aufschrei. Dieser Schuft! Ella lag nichts ahnend mit Sina und Tori im Zelt, denn Sue hatte darauf bestanden, dass Mädchen und Jungen getrennt übernachteten. Und während sie schlief, verführte Tom April.
Oder war es andersrum, hatte April Tom dazu verführt, mit ihr in die Scheune zu gehen und sie zu küssen? Wenn er eine Freundin hat, ist er für mich tabu, hatte sie Myriam doch versichert.
„You’re so wonderful“ , flüsterte sie jetzt.
Tom sagte immer noch nichts. Er war viel zu beschäftigt damit, April zu küssen. Wahrscheinlich waren sie schon die ganze Nacht hier zugange.
Myriam hatte genug gesehen. Ihr war übel. Sie schlich nach draußen. Als sie wieder auf dem Hof stand, hatte sie plötzlich das dringende Bedürfnis, die Scheunentür mit großer Wucht ins Schloss zu knallen und den beiden einen Schrecken einzujagen.
Ihre Hand lag schon auf der Klinke, aber dann ließ sie sie wieder los und huschte genauso lautlos davon, wie sie gekommen war.
Hannah schnarchte leise, als Myriam zurück ins Zelt kam. Und wenn sie schlief, dann schlief sie. Um sie wach zu kriegen, brauchte es mindestens ein Gewitter, einen kalten Waschlappen und ein paar Ohrfeigen, am besten gleichzeitig.
Myriam schlüpfte in ihren Schlafsack und starrte in die Dunkelheit. Wahrscheinlich kam April nachher ins Zelt, damit sie so tun konnte, als
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