Sunshine Ranch 04 - Myriams letzte Chance
hätte sie die ganze Nacht hier verbracht. Myriam fragte sich, wie sie sich ihr gegenüber verhalten sollte. Sollte sie sie mit der Wahrheit konfrontieren? Oder sich lieber schlafend stellen?
You’re so wonderful , hörte sie April wieder seufzen.
Myriam seufzte ebenfalls. April vergnügte sich und sie selbst würde sich bis zum Morgengrauen schlaflos hin und her wälzen. Toll.
Sie musste daran denken, wie Tom sie angesehen hatte, als sie ihn vor ihrem Auftritt getroffen hatte. Du siehst ja aus wie eine Frau. Und dann war er rot geworden.
Sie hatte sich darüber gefreut, auch wenn sie es sich bisher nicht eingestanden hatte. Ob sie sich deswegen so über die Knutscherei mit April ärgerte, weil sie eifersüchtig war?
Draußen vor dem Zelt maunzten zwei Katzen. In der Ferne bellte ein Hund.
Myriam drehte sich vom Rücken auf den Bauch. Wenn diese Nacht nur schon zu Ende wäre!
Sie wollte ihren Eltern zuwinken, die es wider Erwarten doch zur Abschlussvorführung auf die Sunshine Ranch geschafft hatten. Sie saßen gleich in der ersten Reihe, neben April, Tom und Ella. Aber jetzt setzte die Musik ein. Myriam musste ihre Vorführung beginnen.
Das Pattern begann mit einem schnellen Galopp in immer enger werdenden Kreisen. Myriam presste ihre Schenkel in Camillas Flanken. Los geht’s! Aber statt zu galoppieren, ging die Stute rückwärts. Zuerst im Schritt, dann verfiel sie in einen leichten Trab und schließlich galoppierte sie nach hinten. Ein Rückwärtsgalopp, so etwas hatte Myriam noch nie erlebt und die Zuschauer genauso wenig, das sah man ihren verblüfften Gesichtern an.
„Sliding Stop!“, befahl Sarah, die oben auf der Abtrennung des Reitplatzes saß. „Jetzt!“
Myriam verlagerte ihr Gewicht und lehnte den Oberkörper weit zurück, sie hob den rechten Arm und warf den Fächer in die Luft. „Woaaah!“, schrie sie. Das war das Signal für den Sliding Stop, aber weil Camilla nun einmal rückwärtsgaloppierte, führte sie auch den Stop rückwärts aus. Sie schlitterte auf den Hinterläufen über die Sägespäne und blieb schließlich wie ein braves Schoßhündchen sitzen.
„Und nun einen Außengalopp!“, rief Sarah, aber so sehr Myriam Camilla auch bedrängte, sie hatte ihre Übung abgeschlossen und wollte nicht mehr. Als Myriam die Fersen in ihre Seiten drückte, drehte die Stute den Kopf und versuchte sie zu beißen.
„Lass das, Camilla, bist du verrückt!“, schrie Myriam erschrocken.
Ihre Eltern waren von ihren Sitzen aufgesprungen. „Nun reiß dich zusammen, Myriam, und zeig uns, was du draufhast!“, schrie ihr Vater. „Du bist doch kein Hasenfuß!“
Myriam schwitzte. Camilla schnaubte drohend, wieherte schrill, dann sprang sie auf und begann sich wild aufzubäumen. Sie wollte Myriam loswerden, sie wollte sie abwerfen!
„Lass dir nichts gefallen!“, brüllte ihr Vater. „Zeig dem Gaul, was ein guter Reiter ist! Setz dich durch!“
Myriam beugte sich nach vorn und krallte ihre Hände in die Mähne der Stute. Sie hielt sich mit aller Kraft fest, aber es nützte nichts. Langsam rutschte sie über den Rücken des Pferdes nach hinten, dann glitt sie über die Kruppe und fiel.
Sie schlug aber nicht auf dem Boden auf. Sie fiel und fiel und dabei hörte sie ihre Mutter weinen.
„Das ist ein Albtraum“, schluchzte jemand. „Das kann doch einfach nicht wahr sein!“
Myriam setzte sich auf. Ihr Kopf dröhnte. Durch die blauen Zeltwände drang Tageslicht in das Zelt. Der Platz neben Myriam war leer.
„Hannah?“ Myriam rieb sich die Schläfen. Wie spät war es, wie lange hatte sie geschlafen? Und wer um alles in der Welt weinte da draußen? Ihre Mutter war es bestimmt nicht, die hatte Myriam am Vortag nämlich wirklich zum Flughafen begleitet. Die ganze verrückte Vorführung war nur ein Traum gewesen.
„Wenn Charlie etwas passiert, dann …“ Das Schluchzen wurde lauter.
„Oh, come on, April. We’re going to find him any minute.“ Das war Sues Stimme.
Der Reißverschluss am Zelteingang wurde aufgerissen. Hannah krabbelte herein und tastete nach ihrem Rucksack.
„Was ist denn da draußen los?“, fragte Myriam.
„Du bist wach? Wurde ja auch langsam Zeit.“
„Wie viel Uhr ist es?“
„Kurz nach sieben. Wir sind alle schon auf.“
„So früh?“ Myriam schälte sich aus ihrem Schlafsack. „Ist was passiert? Warum hast du mich nicht geweckt?“
„Hab ich versucht. Aber du hast geschnarcht wie ein Bär.“ Hannah schob sich ganz nah an Myriam heran. „Weißt du
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