Sunshine Ranch 04 - Myriams letzte Chance
kommen?“
„Bin schon auf dem Weg. Sag Sue Bescheid. Sie sollte bei dem Gespräch auch dabei sein.“
Myriam legte auf. Wenn sie jetzt am Esszimmer vorbeiging, würden ihr ihre Eltern eine Szene machen. Dafür hatte sie keine Zeit.
Sie öffnete das Fenster und beugte sich nach draußen. Über den Sims konnte sie auf das Garagendach klettern. Die rechte Seite der Garage war vom Haus aus nicht zu sehen. Wenn sie sich an den Efeuranken nach unten hangelte, dann konnte sie vielleicht entkommen, ohne dass ihre Eltern etwas davon mitbekamen. Vorausgesetzt, sie brach sich beim Runtersteigen nicht den Hals.
Eine Sekunde später stand sie auf dem Dach. Sie legte sich auf den Bauch und schob ihre Beine über den Rand ins Leere. Gruselig! Einen Moment lang tasteten und suchten ihre Füße, dann fanden sie Halt in den dicken Ranken. Vorsichtig verlagerte Myriam ihr Gewicht auf die Beine. Die Ranken knarrten beängstigend. Aber sie hielten. Myriam kletterte einen Meter nach unten, dann stieß sie sich ab und sprang zu Boden. Geschafft.
Myriam hatte die Hälfte der Strecke zur Ranch zurückgelegt, als ihr Handy klingelte. Sie sprang vom Rad und kramte es aus der Tasche. Hoffentlich waren das nicht ihre Eltern! Ein Blick aufs Display. Sue ruft an.
„Hi, Myriam. Stör ich? Ich wollte nur kurz Bescheid geben, dass ich Tom deine Handynummer gegeben hab. Hoffentlich ist das okay.“
Tom! Sie hatten vereinbart, dass Myriam sich nach dem Treffen mit Ella bei ihm melden wollte. Das hatte sie vollkommen vergessen.
„Er war vorhin zum Reitunterricht auf der Ranch. Er hat es wirklich super gemacht! Und danach hat er mich gefragt, ob er deine Nummer haben könnte.“
„Das ist schon in Ordnung. Aber warum rufst du dafür extra an? Wir sehen uns doch gleich.“
„Wie meinst du das? Ich bin mit Stefan in der Stadt. Wir wollten gerade was essen gehen.“
Sue war gar nicht zu Hause. Wieso hatte April das eben nicht erwähnt?
„Was gibt’s denn?“, fragte Sue.
„Och, nichts Wichtiges. Kann ich dir später erzählen.“ Nichts Wichtiges. Das war ja wohl die Untertreibung des Jahrhunderts.
„Are you sure?“
„Ganz bestimmt. Grüß Stefan, und guten Appetit!“
Myriam steckte das Handy zurück in die Tasche und stieg wieder aufs Fahrrad. Aber nach ein paar Metern begann es erneut zu klingeln. Das war bestimmt Tom. Diesmal nahm sie das Gespräch an, ohne aufs Display zu blicken.
„Myriam!“ Ihr Vater. So ein Mist! „Wo steckst du denn?“
„Ich … musste noch mal weg.“
„Wie bitte? Du schleichst dich einfach aus dem Haus, ohne uns Bescheid zu geben? Was sind denn das für Sitten!“
„Es ist total wichtig. Ich bin in einer Stunde wieder da, versprochen.“
„So geht das nicht. Ich will sofort wissen, wo du bist und was du vorhast!“
„Ich kann es dir nicht sagen“, sagte sie. „Es geht nicht. Ich … äh … muss auflegen.“
Er begann zu protestieren, aber sie unterbrach das Gespräch.
Puh. Das würde ordentlich Ärger geben, wenn sie wieder nach Hause kam. Aber damit konnte sie sich jetzt unmöglich auseinandersetzen. Sie beschloss, das Handy auszuschalten. Sonst rief ihr Vater gleich wieder an. Aber bevor sie den Ausschaltknopf drücken konnte, fing es erneut an zu klingeln.
Diesmal war es Tom.
„Alles okay bei dir?“, fragte er. „Warum hast du dich nicht gemeldet?“
„Ich hab’s vergessen. Es war einfach zu viel los.“ Sie erzählte ihm atemlos von ihrem Gespräch mit Ella, von Ellas neuem Freund und den Erkenntnissen über Sarah. „Nun bin ich auf dem Weg zu April, um sie zu überzeugen, dass sie das Lösegeld nicht zahlen darf.“
„Ich dachte, ihr Vater weigert sich, ihr das Geld zu geben?“
„Inzwischen hat er es aber doch überwiesen. Und April ist wild entschlossen zu zahlen, weil sie Charlie nicht gefährden will.“
Schweigen am anderen Ende der Leitung.
„Was ist los? Bist du noch dran?“
„Klar. Also, du triffst dich jetzt mit April?“
„Ja. Sue hat keine Zeit, sie ist in der Stadt.“
„Okay. Sei vorsichtig.“
Myriam lachte. „Vorsichtig? Meinst du, April ist gefährlich?“
„Ich find sie irgendwie komisch“, sagte Tom.
Ach ja? Als ich euch am Sonntag in der Scheune gesehen habe, hat das aber ganz und gar nicht danach ausgesehen, dachte Myriam.
„Ruf mich an, wenn du wieder zu Hause bist. Versprichst du mir das?“, sagte Tom.
„Mach ich.“
Danach schaltete Myriam das Handy sofort aus, bevor noch mehr Leute anriefen und sie aufhielten. Sie
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