Super-Brain - angewandte Neurowissenschaften gegen Alzheimer, Depression, Übergewicht und Angst
täglichen Weg zur Arbeit eine neue Strecke wählen oder mit dem Bus fahren statt mit dem eigenen Wagen), führt das zu einer wirkungsvollen Neuvernetzung und zu einer Leistungssteigerung unseres Gehirns. So wie physisches Fitnesstraining für den Aufbau der Muskulatur sorgt, so entstehen durch Fitnesstraining für den Geist neue Synapsen, die das neuronale Netz verstärken.
Viele weitere Beispiele bestätigen den Kerngedanken, dass die überkommene Vorstellung vom unbeweglichen, in Stillstand verharrenden Gehirn ein Irrtum war. Schlaganfallpatienten brauchen sich deshalb nicht damit abzufinden, dass ihr Gehirn aufgrund eines geplatzten Blutgefäßes oder einer Pfropfbildung unwiderruflich geschädigt wird. Wenn Gehirnzellen absterben, können benachbarte Zellen den Verlust wettmachen und so dafür sorgen, dass die neuronale Vernetzung insgesamt intakt bleibt. Bringen wir das Ganze auf eine persönlichere Ebene: Dank eines speziell auf Sie zugeschnittenen neuronalen Netzwerks, für dessen Zustandekommen es Ihres gesamten Lebens bedurfte, erkennen Sie das Haus, in dem Sie einst aufgewachsen sind, erinnern Sie sich an den ersten Kuss und sorgen Sie liebevoll für Ihre Freunde.
Die folgende kleine Geschichte führt Ihnen vor Augen, über welch erstaunliche Fähigkeiten das Gehirn verfügt, wenn eine Umgestaltung des neuronalen Netzes ansteht: Ein Automechaniker litt, nachdem er bei einem Verkehrsunfall aus seinem Fahrzeug geschleudert worden war, unter einem schweren Hirntrauma. Er war gelähmt. Verständigen konnte er sich nur, indem er entweder kurz die Augenlider senkte oder leicht mit dem Kopf nickte. Nach 17Jahren jedoch tauchte der Mann urplötzlich aus seinem halb komatösen Zustand auf. In der folgenden Woche erlebte er eine erstaunliche Genesung, die so weit reichte, dass er mehr oder weniger seine Sprechgewandtheit wiedergewann und in seine Gliedmaßen ein wenig Bewegung zurückkehrte. Mittels bildgebender Verfahren konnte man in den folgenden eineinhalb Jahren den Nachweis erbringen, dass bei ihm ein Regenerationsprozess eingesetzt hatte, in dessen Verlauf sich neue, für eine Wiederherstellung seiner Hirnfunktion sorgende Nervenbahnen gebildet hatten. Die gesunden Nervenzellen brachten neue Axone (primäre Ausläufer in Röhrenform) und Dendriten (feine Verästelungen) hervor, damit anstelle der abgestorbenen Nervenzellen eine neue neuronale Vernetzung entstehen konnte. Ein klassischer Fall von Neuroplastizität!
Unser Fazit lautet also: Starr vorgegebene Schaltmuster kennt unser Gehirn nicht. Das Gehirn verfügt über unglaubliche Stehaufmännchen-Qualitäten. Jener höchst bemerkenswerte Vorgang, den wir als Neuroplastizität bezeichnen, versetzt Sie in die Lage, sich– in Ihren Gedanken, Empfindungen und Handlungen– in jede gewünschte Richtung zu entwickeln.
Dritter Mythos: Das Gehirn altert unweigerlich und unumkehrbar .
Eine Bewegung, die man die » neuen Alten « nennt, erfasst die Gesellschaft. Die herkömmliche soziale Norm für ältere Menschen bot diesen eine überwiegend düstere Perspektive und wies ihnen eine passive Rolle zu. Ihre Domäne war der Schaukelstuhl. Man rechnete bei ihnen fest mit dem bald einsetzenden körperlichen und geistigen Niedergang. Heutzutage trifft das Gegenteil zu. Alte Menschen haben weitaus bessere Chancen, länger aktiv und vital zu bleiben. Infolgedessen legt man heutzutage bei der Definition von Alter andere Maßstäbe an. Im Rahmen einer Studie wurde einer Auswahl von Teilnehmern aus der Babyboomer-Generation die Frage gestellt: » Ab wann ist man alt? « Die Antworten ergaben den Mittelwert von 85Jahren.
Mit der steigenden Erwartung muss das Gehirn offenkundig Schritt halten und sich auf die neuen Alten einstellen. Wohingegen gemäß der alten Theorie vom starren und durch Stillstand gekennzeichneten Gehirn an dessen Alterung kein Weg vorbeiführte. Ihr zufolge sterben mit fortschreitendem Alter ständig Gehirnzellen ab. Und ihr Verlust ist unwiderruflich.
Da wir mittlerweile aber verstehen, wie flexibel und dynamisch das Gehirn ist, kann die Vorstellung vom unausweichlichen Zellverlust keine Gültigkeit mehr beanspruchen. Der Alterungsprozess, der ab dem 30.Lebensjahr um circa ein Prozent pro Jahr voranschreitet, verläuft bei jedem Menschen anders: Keine zwei Menschen altern auf die gleiche Art. Selbst eineiige Zwillinge, die mit einer identischen Genausstattung geboren werden, weisen im Alter von 70Jahren ganz unterschiedliche Genaktivitätsmuster
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