Super-Brain - angewandte Neurowissenschaften gegen Alzheimer, Depression, Übergewicht und Angst
evolutionäre Begründung uns davon überzeugen, jene Angstgefühle und Begierden, die uns von klein auf einprogrammiert sind, hätten hier das Sagen. Denn unserem Großhirn mit seiner logischen Rationalität gegenüber seien sie in der Übermacht. (Dabei geht die Argumentation nonchalant über ein eigentlich gar nicht zu übersehendes Paradox hinweg: Gerade jene höheren Hirnfunktionen, die durch die evolutionäre Theorie degradiert werden sollen, haben sich selbige ausgedacht.) Zweifellos sind instinktive Reaktionen von Geburt an Bestandteil unserer Hirnstruktur. Und bestimmte Menschen seien nun, das halten einige Neurowissenschaftler für einen überzeugenden Gedankengang, einfach darauf programmiert, zu einem Asozialen, zum Kriminellen oder zum blindwütigen Tobsüchtigen zu werden– so wie andere auf Angst, Depression, Autismus und Schizophrenie programmiert seien.
Wer auf die primitiveren Gehirnfunktionen einen derartigen Nachdruck legt, übersieht allerdings eine bedeutsame Wahrheit: Das Gehirn ist multidimensional, damit jede Erfahrung zustande kommen kann. Welche Erfahrung dann letztlich vorherrschen wird, das ergibt sich weder von selbst noch ist es genetisch vorprogrammiert. Zwischen Verlangen und Zurückhaltung, Entscheidung und Zwang besteht ein Gleichgewicht. Wer akzeptiert, dass Biologie Schicksal ist, erklärt den ganzen Sinn und Zweck des Menschseins für null und nichtig: Sich in sein Schicksal zu fügen sollte für uns lediglich eine letzte Möglichkeit in völlig aussichtsloser Lage sein. Für eine Argumentation, die uns glauben machen will, primitivere Gehirnfunktionen hätten beim Menschen die Oberhand, wird solch eine Schicksalsergebenheit jedoch zur ersten Wahl. Wie aber könnte man Derartiges gutheißen? Für den Umstand, dass unsere Vorfahren sich mit menschlichen Missetaten abgefunden haben, weil diese als eine uns durch Adams und Evas Ungehorsam im Paradies aufgebürdete Erblast galten, haben wir in der Regel nur ein Achselzucken oder ein Kopfschütteln übrig. Selbst laufen wir jedoch Gefahr, dass die– nun unter einem wissenschaftlichen Deckmäntelchen vorgebrachte– Vorstellung von unserem genetischen Erbe in uns die gleiche Resignation auslöst.
Gewiss, als natürliche Reaktion auf die Welt erleben wir jeden Tag das Wechselspiel von Angst und Begierde. Das heißt aber nicht, dass wir uns von Angst und Begierde beherrschen lassen müssen. Ein frustrierter Autofahrer auf dem Weg nach Los Angeles, der im beißenden Smog auf der Autobahn feststeckt, wird die gleiche Kampf-oder-Flucht-Reaktion verspüren wie einst seine Ahnen, die in der afrikanischen Savanne Antilopen oder in Nordeuropa Säbelzahntiger gejagt haben. Diese Stressreaktion, ein in unseren Instinkten verankerter Trieb, ist uns angeboren. Dennoch bringt sie Autofahrer nicht dazu, reihenweise ihr Fahrzeug stehen zu lassen, um entweder die Flucht zu ergreifen oder aufeinander loszugehen.
Sigmund Freud war der Auffassung, die Zivilisation beruhe auf der Überwindung unserer primitiven Triebe, damit sich höhere Werte durchsetzen können– was ja auch tatsächlich zuzutreffen scheint. Allerdings ging er von der pessimistischen Annahme aus, dass wir einen hohen Preis dafür bezahlen, indem wir unsere niederen Triebe verdrängen. Denn weder erlöschen diese noch schließen wir mit der tief in uns fortbestehenden Angst und Aggression Frieden. Die Folge sind– wie in den beiden Weltkriegen– Gewaltausbrüche als Massenphänomen, in denen all die verdrängte Energie ihren Tribut fordert und sich, unkontrolliert, auf entsetzliche Weise Bahn bricht.
Weder können wir hier ein Resümee der in die Tausende gehenden Bücher, die zu dem Thema geschrieben wurden, bieten noch die perfekte Antwort auf die damit verbundenen Fragen geben. Menschen als Marionetten animalischer Instinkte zu bezeichnen ist jedoch mit Sicherheit ein Fehlurteil, vor allem weil es derart unausgewogen ist. Unsere höheren Gehirnfunktionen sind genauso legitim, kraftvoll und evolutionär wie unsere Instinkte. Und die Rückkopplungsschleifen zwischen beiden Bereichen, übrigens die umfangreichsten Netzwerke, die man in unserem Gehirn finden kann, sind formbar.
Mal angenommen, Sie spielten in der Profiliga als » Vollstrecker « ( » Enforcer « ) Eishockey und Ihre Aufgabe bestünde darin, auf dem Spielfeld Prügeleien anzuzetteln. In diesem Fall hätten Sie sich vermutlich dafür entschieden, Ihre neuronale Vernetzung im Gehirn dahingehend zu organisieren, dass
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