Super-Brain - angewandte Neurowissenschaften gegen Alzheimer, Depression, Übergewicht und Angst
Geheimfächer der Psyche abgeschoben werden.
Auf den ersten Blick scheint Freud unrecht zu haben. Die meisten Menschen sind ziemlich gut darin, die Augen vor etwas zu verschließen. Schmerzlichen Wahrheiten schauen sie nicht ins Gesicht. Alle möglichen Erfahrungen, von denen sie sich wünschten, sie nie gemacht zu haben, verdrängen sie. In der Dunkelheit aber lässt der Schatten seine Klopfzeichen ertönen. Wie Geister steigen verdrängte Gefühle empor. Manchmal übermannt einen ein Gefühl von Unruhe und Sorge, weil die Angst an die Oberfläche zu kommen droht. Verdrängung ist indes eine verzwickte Sache. Man kann aus ganz unterschiedlichen Gründen Angst haben: weil man sich besorgt fragt, ob man weiterhin seine Geheimnisse wird wahren können; weil man weiß, dass eines Tages doch alles ans Licht kommen wird; oder weil der zwecks Schmerzvermeidung in Kauf genommene Schmerz einfach zu stark wird.
Gegen Verdrängung helfen zwei Gegenmittel: Offenheit und Aufrichtigkeit. Sind Sie für all Ihre Gefühle offen, und nicht nur für die angenehmen, dann brauchen Sie nichts zu verdrängen. Sie haben dann keine schmutzigen kleinen Geheimnisse, die Sie irgendwo im Untergrund verschwinden lassen müssten. Wenn Sie aufrichtig sind, können Sie Ihre Gefühle, mögen sie auch noch so unwillkommen sein, beim Namen nennen.
Darin ist freilich niemand perfekt. Sigmund Freud verkündete einst einer schockierten Welt, insgeheim fühlten sich alle kleinen Kinder sexuell zur Mutter oder zum Vater hingezogen. Sollte er hier tatsächlich ein universelles Geheimnis gelüftet haben (sehr gut möglich, dass es da gar kein Geheimnis gibt), dann hätte die Verdrängung epidemische Ausmaße. Doch diese tiefschürfende psychologische Frage müssen wir hier im Buch nicht klären.
Zu heilen, darum geht es in der Hauptsache. Und um den Mut zu finden, Ihre Geheimnisse ans Licht zu holen, benötigen Sie Distanz. Ein einjähriges Kind, das ins Bett macht, tut dies ganz locker und gelöst, weil dem Bettnässen in dem Alter noch keine Schuldgefühle anhaften. Ein Vierjähriges, das sich dafür viel Schelte anhören muss, wird den gleichen Vorgang, wenn er ein weiteres Mal passiert, verheimlichen wollen. Und für einen Vierzigjährigen, der ins Bett macht, können sich daraus ausgesprochen peinliche Verwicklungen ergeben.
Das größte Risiko für das Aussprechen der Gefühle, die Sie viele Jahre lang verdrängt haben, ist eine urteilende Reaktion der Person, der Sie sich anvertrauen. An solch einem Punkt würden Sie sich wahrscheinlich wünschen, Sie hätten Ihr Geheimnis für sich behalten. Andererseits können Schuldgefühle, wenn wir die Absicht haben, uns jemandem anzuvertrauen, wirklich gemein und hinterhältig sein. Und dafür gibt es einen guten Grund. Denn wir spielen nach wie vor in Personalunion die Doppelrolle des Misshandelten und des Misshandelnden. Daher suchen wir uns auch keineswegs eine Person, die sich erst anschließend als jemand entpuppt, der uns be- oder verurteilt. Im Gegenteil: Wir suchen uns die betreffende Person aus, weil wir wissen, dass sie uns beurteilen wird. Deshalb kommt es darauf an, mit Gedanken wie den nachfolgend aufgeführten vorab den Boden zu bereiten:
Ich weiß, ich verberge etwas. Und das schmerzt.
Ich habe Angst davor, reinen Tisch zu machen. Das aber wird mir Heilung bringen.
Ich will unbelastet sein.
Es macht mir Sorge, dass ich gar nicht mehr zur Ruhe komme.
Wenn Sie Geheimnisse wahren– zumal solche, bei denen im Verborgenen vorhandene Emotionen, die Sie selbst verurteilen, nicht ans Licht kommen sollen–, scheint es kaum vorstellbar, dass Vergebung möglich ist. Dazu liegt Ihnen der Zustand der Vergebung allzu fern. Er mutet imaginär an, verglichen mit all der Angst und Besorgnis, die Sie hier und jetzt verspüren. Rufen Sie sich einfach in Erinnerung, dass Vergebung der letzte, nicht der erste Schritt ist. Sie aber machen einen Schritt nach dem anderen. Sie wollen sich selbst vergeben– nur so viel sind Sie sich schuldig–, um anschließend herauszufinden, worin der nächste Schritt in Richtung Heilung bestehen kann, und sei er auch noch so klein. Ein Buch lesen, eine Zeitschrift aufbewahren oder sich einer Online-Selbsthilfegruppe anschließen, darin könnte beispielsweise der erste Schritt bestehen. Worum auch immer es geht, der Knackpunkt beim ersten Schritt ist immer derselbe: Sie schenken der Angst nicht länger Beachtung und lernen, Ihre Gefühle als das zu akzeptieren, was sie
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