Super-Brain - angewandte Neurowissenschaften gegen Alzheimer, Depression, Übergewicht und Angst
der Homo sapiens ohne solche höheren Merkmale einfach ein im Sozialverband lebendes Wesen geblieben. Letzteres trifft auf die Schimpansen zu, deren Stammlinie rund sechs Millionen Jahre nach– nicht vor– derjenigen unserer hominiden Vorfahren vom Primatenstammbaum abzweigte.
Blickt man einem Schimpansen in die Augen, entdeckt man in manchen Momenten, dass das Tier nachdenklich wirkt. Verantwortung hingegen ist Schimpansen fremd. Und trotz all ihrer Intelligenz sind sie nicht in der Lage, in ihrem Lernverhalten Fortschritte zu machen. Das lässt sich anhand eines entsprechend aufgebauten Versuchs zeigen: Ein Schimpanse sieht Ihnen dabei zu, wie Sie unter einer von zwei Schachteln ein wenig Futter verbergen. Wenn er sich erinnert, wo das Futter liegt, und unter der richtigen Schachtel nachschaut, bekommt er das Futter. Ein Schimpanse braucht das nur ein paarmal zu probieren, damit er lernt, die Aufgabe erfolgreich zu bewältigen. Doch angenommen, Sie verändern die Versuchsanordnung: Sie stellen vor dem Schimpansen zwei Schachteln auf. Überreicht er ihnen die schwerere Schachtel, dann geben Sie ihm zur Belohnung Futter. Auch nach 600Versuchen wird ein Schimpanse dabei nicht besser abschneiden, als es der statistischen Wahrscheinlichkeit entspricht. Ein kleines Kind im Alter von drei oder vier Jahren findet dagegen sehr schnell heraus, dass es darauf ankommt, die schwerere Schachtel zu wählen.
Wir sollten unser Wissen auch mit anderen teilen. Die menschliche Gemeinschaft ist darauf angewiesen, dass gelehrt, dass Wissen weitergegeben wird. Dazu bedarf es eines auf spezifische Weise funktionierenden Gehirns, eines Gehirns, das Erfahrung augenblicklich in Wissen umsetzen kann. Nach Millionen von Jahren haben manche Affen gelernt, harte Nüsse, um sie zu öffnen, auf Felsen kaputt zu schlagen. Und unter Zuhilfenahme eines Stocks können höhere Primaten, Schimpansen beispielsweise, Vogeleier aus einem tiefen Hohlraum in einem Baumstamm oder Ameisen aus einem Loch herausholen. Doch das bleibt eine primitive Fertigkeit. Einem Orang-Utan kann man beibringen, an das Futter in einem kompliziert aufgebauten Plastikgefäß mit diversen beweglichen, in einer genau vorgegebenen Abfolge zu öffnenden Teilen heranzukommen. Solch eine Aufgabe lernen Orang-Utans rasch zu lösen. Aber das war’s dann auch: Einem anderen Orang-Utan beibringen, diese Aufgabe zu lösen, das können sie nicht.
Wir aber vermitteln Wissen nicht nur weiter, indem wir vormachen, wie etwas geht, sondern indem wir sprechen. Die Sprache in all ihrer Komplexität hat die Evolution des Gehirns beschleunigt, da sie eine ungleich anspruchsvollere und differenziertere Form der Kommunikation ermöglichte. Und zugleich verhalf sie uns zu der Fähigkeit des symbolischen Denkens. Anders gesagt: Indem wir dieselben Hirnareale nutzen, die sich für die zwischenmenschliche Kommunikation entwickelt haben, können wir symbolische oder virtuelle Welten entstehen lassen. Wenn Sie an einer roten Ampel anhalten, tun Sie das nicht, weil Sie das Wort Halt hören. Vielmehr verknüpfen Sie die Farbe Rot mit dem Wort; sie ist ein Symbol. So schlicht das auch klingt, hat es nichtsdestoweniger außerordentlich weitreichende Konsequenzen. Infolge von vorgeburtlich aufgetretenen Anomalien in der Gehirnentwicklung haben zum Beispiel Kinder mit einer Lesestörung (Dyslexie) Lernschwierigkeiten beim Lesen. Ihr Gehirn vertauscht die Reihenfolge von Buchstaben beziehungsweise Lauten innerhalb eines Wortes oder die Reihenfolge von Wörtern. Allerdings lässt sich, so hat man herausgefunden, diese Störung dadurch umgehen, dass man ein Alphabet aus verschiedenfarbigen Buchstaben verwendet: A könnte rot sein, B grün und so weiter. Dank dieser symbolischen Assoziation kann der Sprachprozess weiter vonstattengehen. Damit diese symbolische Verknüpfung gelingen kann, springt hier eine Funktion der Sehrinde in die Bresche: die Fähigkeit, Farben zu unterscheiden, die beim Menschen eine unglaubliche Nuanciertheit erreicht– bei den Wellenlängen des Lichts vermag das menschliche Auge zehn Millionen verschiedene Abstufungen zu unterscheiden. Kein Mensch weiß genau, wie viele dieser Abstufungen tatsächlich Farben entsprechen, die wir voneinander unterscheiden können. Offenbar handelt es sich aber zumindest um mehrere Millionen.
Diese großartige Vorstellungs- und Symbolgestaltungsgabe kann sich allerdings auch ins Negative verkehren: Beispielsweise ist die Swastika ein aus dem indischen
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