Super Nova (German Edition)
war nichts zu erkennen. Ich nutzte diese Sekunde, die mir der Zufall schenkte, öffnete die Tür und ließ mich seitlich auf den harten, gefrorenen Boden herausfallen. Ich sprang hoch und lief weg, einfach nur weg, so schnell ich konnte und quer durch all die parkenden Autos. Weinend duckte ich mich hinter einen alten Golf, der am weitesten entfernt stand.
Was sollte ich jetzt tun? Zurückgehen und es Rania sagen? Ich hatte Angst davor. Zudem war mir der Übergriff peinlich.
Wo konnte ich nur hin – ganz ohne Auto, zu Fuß und mitten in der kalten Nacht? Ich kramte in meiner Jacke nach einem Tasche n tuch und griff unbewusst an mein Handy. Ja, mein Handy – doch wen konnte ich anrufen? Babette wohl kaum. Und Torben? Was sollte ich ihm sagen? Er würde mich fragen, wo Rania ist. Nein, das ging auch nicht. Ich nahm mein Handy, sah es an und erblickte den Hasen auf dem Display.
»Mein Schnuffel« stand darunter. Es war das Bild, das Tommy mir im November zum Geburtstag geschickt hatte. Ich benutzte es seitdem al s Hintergrund. Tommy, i hn brauchte ich jetzt mehr denn je. Schluchzend wählte ich seine Nummer.
»Hallo, Stella«, meldete sich seine liebe Stimme und mir ging es gleich etwas besser. »Tommy! Oh, wie gut es tut, dich zu hören. Bitte erzähl mir was, irgendetwas!«
»Alles okay bei dir?« Es hatte keinen Sinn, ihn anzulügen.
»Ehrlich gesagt nein, aber das ist egal, ich will dich nur hören. Bitte sprich mit mir«, flüsterte ich ängstlich. Tommy hatte eine warme Stimme – weich, fast kindlich. Für mich war sie ein Symbol für Vertrautheit, Freundschaft und Sicherheit. Genau das brauchte ich jetzt.
»Stella, liebend gern würde ich dir alles sagen, was du hören willst, aber irgendetwas stimmt doch nicht mit dir. Was ist los?«
Ich schniefte erneut. »Ich bin in Schwallungen … vor der Oase … auf dem Parkplatz … Ja, es ist was passiert, egal – ich komme hier nicht weg und traue mich nicht mehr rein. Ich wünschte, ich könnte mich unsichtbar machen ! «
»Okay, ganz ruhig, Stella. Bleib, wo du bist, noch ein paar Min u ten. Warte und geh nicht weg! Ich melde mich gleich noch mal!« Dann tutete es in der Leitung. Was sollte das jetzt? Ein paar Min u ten warten? Worauf? Ich wollte doch nur seine Stimme hören und hatte solche Panik, dass Peter mich finden würde. Mit dem Handy und Tommys Stimme am Ohr wäre ich stärker gewesen, wenn er hier auftauchte, aber nun … Ich duckte mich noch tiefer hinter den alten Golf und kauerte mich an dessen Reifen zusammen. Es war eisig kalt. Die Zeit wollte nicht vergehen, irgendwie stand sie still. Ich blickte ständig auf das Display meines Handys. Unter dem Schnuffel war die Anzeige der Uhr. Es war fast halb zwei in der Nacht, vierzehn Minuten waren seit dem Telefonat schon verga n gen. Ich schaute verträumt den Hasen an und dachte an Tommy, als mein Schnuffel plötzlich sang. Erschrocken klappte ich das Handy auf. »Ja?«, wisperte ich in der Dunkelheit.
»Wo genau steckst du, Stella? Ich bin gleich bei dir!«, sagte Tommy und ich konnte es nicht glauben.
»Du bist hier? Wie das?«
»Das erzähle ich dir gleich. Wo genau bist du?«
»Ganz hinten, hinter dem letzten Auto, ein roter, alter Golf.«
»Kannst du vor den Eingang der Disco kommen?«
»Nein, Tommy, das traue ich mich nicht. Ich gehe hier nicht weg«, wies ich seinen Vorschlag flüsternd zurück.
»In Ordnung, ich finde dich schon«, hörte ich ihn sagen und von fern eine Wagentür zuschlagen.
»Ein roter Golf«, säuselte er ins Handy, dann wurde es still am anderen Ende. Es vergingen ein paar Sekunden, die mir wie eine Ewigkeit vorkamen. Ich hörte nur seinen Atem und dann berührte mich etwas. Erschrocken fuhr ich hoch.
» Psst , ich bin es – komm her!«
Tommy stand vor mir. Schluchzend fiel ich ihm in die Arme. Voller Erleichterung weinte ich an seiner Schulter. Wir standen eine Weile beisammen, abseits des riesigen Parkplatzes in einer eisigen Nacht, und ich weinte, ohne aufzuhören.
All meine Angst und Verzweiflung der letzten halben Stunde, Peters Übergriff, meine Furcht vor Shiva, mein Albtraum der vergangenen Nacht … Alles kam plötzlich aus mir heraus.
Ich schluchzte weiter und Tommy streichelte unentwegt über meinen Rücken. Er wiegte mich hin und her, bis ich ruhiger wurde.
»Lass uns gehen, hier ist es zu kalt«, tuschelte er mir ins Ohr und eng umschlungen ging ich mit ihm.
»Das ist der Wagen deiner Mutter!«, be merkte ich schniefend und war erschrocken
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