Super Nova (German Edition)
um mich endlich wieder frisch und munter zu fühlen. Die warmen Wasserstrahlen und der Duft des Shampoos halfen mir dabei. Danach zog ich mich rasch an und föhnte mein nasses Haar, bevor ich wie neugeboren zu Tommys Zimmer zurückging. Behu t sam trat ich ein und sah ihn, mit der Gitarre in der Hand, auf dem Bett sitzen. Er lächelte mich an und zupfte die Saiten.
Eine leise Melodie erklang.
Tommy war ein begnadeter Musiker. Ich liebte es, wenn er Gita r re spielte und dabei sang. Ich lauschte friedlich seiner Musik, bis sein Bruder Chris uns an das Mittagessen erinnerte.
Als Tommy ins Badezimmer verschwand, half ich Frau Stein, den Tisch zu decken. Sie genoss es sichtlich, weibliche Unterstü t zung in ihrem Männerhaushalt zu haben.
Anschließend aßen wir alle gemeinsam. Es war schön, mit so vi e len Personen am Tisch zu sitzen. Zuhause aß ich meistens alleine.
»Wollen wir ins Kinderheim gehen?«, fragte mich Tommy nach dem Mittag beim Abwasch. Das war eine sehr gute Idee. Ich nahm mir ständig vor, Piri und Sascha zu besuchen. Leider hatte ich es in den letzten beiden Wochen nicht geschafft.
»Liebend gerne! Das machen wir gleich.«
Ich war Feuer und Flamme!
Das Kinderheim lag keine fünfhundert Meter von Tommys E l ternhaus entfernt. Eine halbe Stunde später standen wir schon vor der Einrichtung und klingelten. Frau Büttner, die Leiterin, öffnete.
»Ah, Stella, Tommy; ihr wollt gewiss Piri besuchen, nicht wahr? Nun, dann kommt halt rein«, begrüßte sie uns spitz und unfreun d lich. Frau Büttner empfand ich als sehr strenge Person. Während die anderen Mitarbeiter des Heims liebevoll und warmherzig waren und ihnen die Arbeit Freude bereitete, erschien mir Frau Büttner immer unterkühlt – vor allem, was Piri betraf. Vielleicht lag mir der Junge deshalb so am Herzen. Er hatte keinen guten Stand bei ihr. Ebenso wenig wie Sascha. Die beiden waren schwierige Fälle, doch gerade sie brauchten viel Liebe. Sascha war noch nicht lange in dieser Einrichtung. Seit knapp zwei Jahren lebte er hier. Inzwischen war er zwölf und für sein Alter erstaunlich weit entwickelt, zumindest geistig. Wenn man ihn ansah, war er der kleine Junge von nebenan: blauäugig und mit blonden, kurzen Haaren. Aber auf mich wirkte er von seinem Verhalten her wie ein Erwachsener. Die Leitung hier im Heim sah das allerdings ganz anders. Sascha war ein Problemfall. Seine Eltern kamen nicht mehr mit ihm zurecht, als er gerade mal neun Jahre alt war. Aufgrund seiner Verhaltensauffälligkeiten kam er damals sogar in eine Nervenklinik, wo er fast ein ganzes Jahr ve r bringen musste.
Dort wurde er medikamentös behandelt und ruhiggestellt. Nach einem Jahr sc hickten sie ihn nach Hause. Da verweigerte er die ganzen Medikamente und es kam erneut zu Ausschreitungen, die seine Eltern nicht ertragen konnten oder wollten. Sie hatten ange b lich Angst vor ihrem eigenen Sohn. Darum war er jetzt schon seit fast zwei Jahren hier.
Er hatte sich für seine Verhältnisse recht gut in die Gruppe int e griert und nahm sogar wieder am Unterricht teil. Dennoch blieb er der Außenseiter, der Verrückte, wie Frau Büttner ihn immer nannte.
Sascha wusste von Dingen, die kein anderer verstand. Er kannte sich in Physik und Chemie wie ein Professor aus. Sein Wissen über Zahlen und Formeln beeindruckte mich sehr. Ein solches Genie in Naturwissenschaften wie Sascha war mir bisher noch nie begegnet.
Das Makabere an der Geschichte: Hier schien das niemand zu bemerken oder vielleicht wollten sie es auch gar nicht registrieren. Ich hingegen liebte die Gespräche mit ihm. Sie waren immer abg e hoben und intensiv, aber niemals langweilig. Ich hatte stets das Gefühl, mich mit einem Erwachsenen zu unterhalten und nicht mit einem Kind.
Ganz anders verhielt es sich mit Piri . Den Kleinen hatte ich seit Jahren ins Herz geschlossen. Piri war gerade neun Jahre alt gewo r den. Er verbrachte schon sein ganzes junges Leben im Heim. Offiziell war er ein Vollwaisenkind, aber an seiner Geschichte gab es so viele merkwürdige Aspekte, die ich nicht vervollständigen konnte. Ich sah ihn das erste Mal vor fünf Jahren zu Ostern. Mein erstes Osterfest ohne Paps. Nach Vaters Tod war mein Leben hart. In dieser schwierigen Zeit war ich oft bei Tommy und seiner Familie. Ich fuhr fast jeden Nachmittag mit dem Fahrrad zu ihm nach Schweina , während Rania begann, ihre Pubertät auszuleben. Wir waren damals vierzehn Jahre alt und sie hatte nur Jungs im Kopf. Ich dagegen kämpfte um
Weitere Kostenlose Bücher