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Super Sad True Love Story

Super Sad True Love Story

Titel: Super Sad True Love Story Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Gary Shteyngart
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Molinari
und Noah auf der
John F.   Kennedy
, als hinter uns sporadisches Gewehrfeuer aufflackerte, weiter oben und weiter unten auf der Hamilton Avenue, und die darauffolgenden Schreie schlichen sich in meine Ohrmuscheln und sperrten sie vorübergehendzu. Taubheit. Völlige Stille. Eunice’ Mund verzog sich zu grausamen Worten, die ich nicht verstehen konnte. Der breite Bug der
Guy   V.   Molinari
pflügte durchs sommerlich warme Wasser, und wir drängten heftig in Richtung Manhattan. Mehr als je zuvor hasste ich die falsche Spitze des «Freedom» Tower, hasste ihn aus jedem einzelnen Grund, der mir einfiel, vor allem aber wegen seiner Verheißung von Souveränität und brachialer Stärke, und ich wollte die Bande zu meinem Land, zu meiner grollenden, wütenden Freundin und zu allem anderen zerschneiden, was mich an diese Welt fesselte. Ich sehnte mich nach den 70   Quadratmetern, die mir von Rechts wegen gehörten, und jubelte über das Brummen der Motoren, die mich meiner Vorstellung von Heim entgegentrugen.
    Ein einzelner Rabe tauchte über der Fähre von Noah und Amy auf. Er senkte den goldenen Schnabel, und sein goldener Schnabel färbte sich orange. Zwei Raketengeschosse wurden in rascher Folge abgefeuert. Eine Explosion, dann zwei; der Hubschrauber machte beiläufig kehrt und flog zurück Richtung Manhattan.
    Ein Augenblick ohne Geschrei, ein Moment vollständiger Äppärätstille senkte sich über die
Guy   V.   Molinari
, ältere Menschen klammerten sich an ihre Kinder, die jüngeren waren verloren im Schmerz der plötzlichen Erkenntnis, dass sie selbst irgendwann sterben müssten, ihre Tränen im Seewind, stechend und kalt. Und dann, als die Flammen über die Oberdecks der Fähre schlugen, als die
John F.   Kennedy
sich aufrichtete, in zwei Teile zerbrach, im warmen Wasser auseinanderfiel, als der erste Teil unseres Lebens, der falsche Teil, sein Ende fand, da wurde die Frage, die wir so viele Jahre zu stellen vergessen hatten, dann doch von einer heiseren Stimme links am Bühnenrand gerufen:
«Aber warum?»

SICHERHEITSLAGE OFFEN
    Aus dem Tagebuch des Lenny Abramov
    7.   August
     
    Liebes Tagebuch,
     
    der Otter ist mir im Traum erschienen. Nicht der Zeichentrickotter, der mich in Rom verhört hat, auch nicht der Graffito-Otter von der Grand Street, sondern ein lebensechter Otter, ein Säugetier in HD, mit Schnurrhaaren und Fell, vom Flusswasser noch nass. Er drückte seine weiche, feuchte schwarze Nase an meine Wange, in mein Ohr, küsste mich damit, bedachte mein hungriges Gesicht mit seinem heißen, vertrauten, familiären Lachsatem, seine kleinen schlammigen Pfoten ruinierten das saubere weiße Oberhemd, das ich für Eunice angezogen hatte, denn im Traum wollte ich, dass sie mich wieder liebte, zu mir zurückkam. Und dann sprach er zu mir mit Noahs Stimme, mit dieser gereizten, überdrehten, im Grunde aber menschlichen Stimme eines verhinderten Akademikers. «Sie wissen ja, Amerikaner fühlen sich im Ausland manchmal einsam», sagte er und hielt inne, um meine Miene zu lesen. «Passiert dauernd! Darum verlasse
ich
nie meine schöne Heimat.» Er sah mich von oben bis unten an, prüfte, ob ich ihn unterhaltsam fand. «Haben Sie während Ihres Auslandsaufenthaltes irgendwelche netten
Ausländer
kennengelernt.» Keine Frage, eine Feststellung. Noah hatte für Fragen keine Zeit. «Ich warte immer noch auf den Namen, Leonard oder Lenny.» Ich spürte, dass sich mein Traummund bewegte, um Fabrizia noch einmal zu verraten, aber diesmal bekam ich ihn nicht auf. Der Noah-Otter lächelte,als wüsste er genau, was für eine Sorte Mann ich war, und wischte sich mit einer Menschenhand über die Schnurrhaare. «Sie sagten ‹DeSalva›.»
    Noah. Drei Tage nach dem Bruch. Statt zu trauern, statt zu leiden, nur oberflächliche Erinnerungen an einen gemeinsam gerauchten Joint auf den Schotterbergen am Washington Square, als unsere frühe Freundschaft noch so zerbrechlich und albern war wie eine junge Liebe. Politik auf der Zunge, Mädchen im Kopf, zwei Jungs aus der Vorstadt eben, Erstsemester an der NYU, Noah schon mit einem der letzten Romane beschäftigt, die jemals gedruckt werden sollten, ich vor allem damit beschäftigt, mit jemandem wie Noah Freundschaft zu schließen. Sind diese Erinnerungen überhaupt echt? Darin besteht jetzt mein Leben. Träume, nichts als Träume.
    Ich schlafe auf der Couch. Eunice und ich haben kaum miteinander gesprochen, seit ich sie nach Hause gezerrt habe, weg von ihrem

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