Super Sad True Love Story
staubige Lebensmittelgeschäfte, Geldwechselstuben und 2 0-Centavo -die- Minute-Telefonläden . Davor lungerten Schwarze in dicken Daunenjacken herum und stolperten schlaftrunken über Milchflaschenkisten. Ich erinnere mich so gut an diese Gegend, weil meine Kumpel und ich gleich nach dem Examen immer die Fähre genommen haben und in so ein srilankisches Restaurant mit scharfer Küche eingefallen sind, wo man für neun Dollar einen unfassbaren Garnelenpfannkuchen und irgendeinen himmlischen roten Fisch bekam, während einem Babykakerlaken an den Hosenbeinen hochkrabbelten und einem das Bier wegtrinken wollten. Inzwischen waren das sri-lankische Restaurant, die Kakerlaken, die schläfrigen Minderheiten natürlich verschwunden, verdrängt von Bohemiens, die – halb Mensch, halb Handy – ihre Kinderwagen den Buckel des Victory Boulevard hinauf- und hinunterschubsen, während die Jugendlichen aus dem nahen New Jersey in ihren Hyundai-Reisraketen an den unverschämt teuren viktorianischen Häusern entlang cruisen und sich wünschen, sie hätten einen Job in Medien oder Kredit.
Das Cervix ist genau so, wie man es von einer der bescheuerten Altherren-Bars auf Staten Island erwartet, die zu einem Treff für Medien- und Kreditfiguren aufgehübscht und rausgeputzt wurden: unechte Ölgemälde aus uralten Hobbykellern, heiße Bräute Anfang zwanzig, die nach Zusatzreizen für ihr elektronisches Leben suchen, halbhippe Typen in verzweifelt coolen Klamotten, die auf Ende dreißig zugehen oder schon tief ins Folgejahrzehnt vorgedrungensind. Meine Jungs passten genau ins Bild. Da saßen sie um einen Tisch, ihre Äppäräte in der Hand, sprachen in den Hemdkragen und tippten gleichzeitig Content in ihre perlenglatten Geräte, zwei dunkel gelockte Köpfe, die der Welt um sie her keinerlei Beachtung schenkten: Noah Weinberg und Vishnu Cohen-Clark, wie ich ehemalige Studenten der Institution, die früher New York University hieß, dieser unverzichtbaren lokalen Bildungsanstalt für einigermaßen kluge Männer und Frauen, wie ich Liebesleidende, wie ich Freunde würziger Worte und endloser Obskuritäten, wie ich Reisende ins dunkle, schlecht geschmierte Drecksloch des Lebens.
«Meine Nee-ger!», rief ich. Sie hörten mich nicht. «Meine
Nee
-ger!»
Noah sprang auf, nicht mehr so wie früher an der Uni mit ehrgeizigem Sprintersprung, aber doch schnell genug, dass er den Tisch beinahe umwarf. Mit dem unvermeidlichen dämlichen Grinsen – den gleißenden Zähnen, dem schwadronierenden Lügenmaul, den begeistert glänzenden Augen – drehte er das Kameraauge seines Äppäräts in meine Richtung, um mein schwerfälliges Eintreffen aufzunehmen. «Hoch die Köpfe,
manitos
, da kommt er!», brüllte er. «Zieht den Finger aus dem Arsch und macht euch locker. Das hier gibt es
exklusiv
in der ‹Noah Weinberg Show!› Die Ankunft unseres ganz persönlichen Spitzen-Nee-gers, zurück von einem Jahr schwachsinniger Selbstfindung in Rom, Italia. Wir streamen euch das live, Leute. Er kommt hier in Echtzeit zu uns an den Tisch! Das alberne Lächeln besagt: ‹Hey, ich bin auch bloß einer von euch!› Dreiundsiebzig Kilo Aschkenase der zweiten Generation, Marke ‹Meine Eltern sind arme Einwanderer, deshalb müsst ihr mich einfach lieben›: Lenny ‹Der clevere Freak› Abramov!»
Ich winkte Noah und, zögerlich, auch seinem Äppärätzu. Vishnu kam mir mit ausgebreiteten Armen und reiner Freude im Gesicht entgegen – ein Mann, dessen knapp unterdurchschnittliche Größe (ein Meter dreiundsiebzig) und moralische Wertvorstellungen meinen eigenen ungefähr entsprachen, ein Mann, dessen Frauengeschmack – eine zurückhaltende, intelligente junge Koreanerin namens Grace, die ebenfalls eine gute Freundin von mir ist – ich nur begrüßen kann. «Lenny», sagte er und verweilte bei den beiden Silben meines Namens, als wären sie bedeutsam. «Wir haben dich vermisst, Kumpel.» Diese einfachen Worte trieben mir die Tränen in die Augen und veranlassten mich, ihm etwas leicht Peinliches ins Ohr zu flüstern. Er trug den gleichen SUK-DI K-Einteiler wie mein junger Kollege bei den Posthumanen Dienstleistungen, allerdings war sein Kinn unrasiert und grau, und seine Augen waren müde und blutunterlaufen, sodass man ihm sein Alter ansah. Wir drei umarmten einander irgendwie übertrieben, mit Händen auf dem Hintern und Gewedel der Geschlechtsteile. Als wir Heranwachsende waren, hatten Jungsfreundschaften strenge Regeln und enge Grenzen, was wir in heutigen
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