Superdaddy: Roman (German Edition)
Aber München liegt eigentlich nicht in Deutschland. Sondern in Bayern. Und von Paris und Istanbul ist das alles so weit entfernt wie Matthias Reim vom Hiphop-Grammy.
Piet Mandelson saß unbeweglich auf dem groben Holzstuhl auf der Aussichtsplattform und blickte durch die Glaswand auf das Rollfeld. Es war nach sechs, es dämmerte, aber er trug eine Marcello-Mastroianni-Sonnenbrille, als läge er um ein Uhr mittags am Strand von Rimini. Und daran erkannte ich, dass er es sein musste. Seine Hände steckten in einem Trenchcoat, und nichts an seiner Haltung oder seinem Gesicht verriet, dass er uns kommen gehört hatte. Erst als wir auf wenige Meter herangerückt waren, merkte ich, dass er sprach. Immer wieder erschreckt es mich, Leute in der Öffentlichkeit laut mit sich selbst reden zu hören, bis ich bemerke, dass sie per Freisprechknopf telefonieren. Mandelson sprach halblaut, und ich fragte mich, ob sein Gegenüber, wahrscheinlich ein australischer Medientycoon, bei dem Maschinenlärm etwas davon verstand. Vielleicht filterte Mandelsons Freisprechmikro aber auch Fluglärm heraus. Oder war darauf programmiert, seine leise, etwas raue Stimme aus seiner akustischen Umgebung herauszupräparieren, selbst wenn er im Zentrum der Love-Parade spazierenging. In drei Metern Entfernung blieben wir stehen wie Schüler, die ihren Klassenlehrer um einen Eintrag ins Poesiealbum bitten wollen, und hörten parallel sein tiefes, monotones Stimmtimbre und das Aufheulen von Boeing-Motoren.
Vor uns lag das graue Rollfeld, auf dem die Maschinen von Hamburg Airways, Emirates und Türkiye darauf warteten, aufgetankt und inspiziert zu werden. Dazwischen sausten kleine, signalrote Transporter hin und her und zogen Schlangen von aneinandergehängten roten Gepäckwägelchen hinter sich her, kreuzten grüne Busse, rote Feuerwehrautos und silberne Transporter, eine große Legolandschaft, während Mandelson per Freisprecheinrichtung die Wägelchen seiner TV-Formate durch die deutschen Bildschirme dirigierte. Und jetzt aufstand, wobei er sich als Zwei-Meter-Riese entpuppte. Er ging zwei Schritte durch Wind und Kälte auf uns zu und schüttelte erst Ines die Hand, dann mir. Mir wurde plötzlich warm, er war ganz bei mir und fixierte mich durch die Marcello-Mastroianni-Brille hindurch.
»Hi, ich bin Piet.«
»Philipp.«
Mit einem Mal war ich ein mittelalterlicher Knappe, der seinem Ritter gegenübersteht. Mandelsons blonde Haare waren von weißen Strähnen durchzogen und in einem Dreieck nach oben gegelt. Seine Gesichtsfarbe war für Oktober ungewöhnlich braun. Früher sahen Zuhälter so aus. Heute Programmchefs von öffentlich-rechtlichen Fernsehsendern.
»Sorry, dass ich euch herbeordern musste«, sagte er heiser und halblaut, »aber in einer Dreiviertelstunde geht mein Flieger nach …«
Der Rest des Satzes ging im Aufheulen einer Air-France-Maschine unter, die sich gerade wie ein weißer Eisvogel von der Startbahn in die Luft schob, brüllend und lange neblige Schwaden von Benzinabgasen ausstoßend. Reinhard Mey hatte das vor vierzig Jahren noch romantisch gefunden.
»Kein Problem«, sagte ich. Haha. So musste Petrus sich gefühlt haben, als er Jesus drei Mal verraten hatte, noch bevor der Hahn drei Mal gekräht hatte. Bei mir war es Linus, der gerade an der bunten Wand des Salon du bloc in die Höhe stieg, als hätte die Schwerkraft keine Macht über ihn, auch ohne Düsenantrieb und subventioniertes Flugbenzin.
»Gibt’s Probleme mit der TV-Aufzeichnung?«, fragte ich, weil mir einfiel, dass Ines vor lauter Streit um Tourkonditionen und Charity-Auftritte nichts mehr zur Kamerafrage gesagt hatte.
»Null Problemo.« Mandelson wandte seinen Blick wieder dem Rollfeld zu. »Die kriegen ein Glas Champagner und werden umgesetzt. Nein.« Er nahm eine Gauloises aus der blauen Packung und zückte ein Feuerzeug. »Es geht um was ganz anderes … Ja?«
Offensichtlich ein neues Telefonat. Wichtige Menschen verblieben nicht in Gesprächen, dafür mussten sie zu viele führen. Er ging zwei Schritte weg, und seinem Gesichtsausdruck nach konnte es sich nur um Barack Obama oder Wladimir Putin handeln. Oder um Paul Panzer. Ines blickte mich verschmitzt an. So sind sie halt, die ganz Großen, sagte ihr Blick. Seien wir froh, dass wir schon so nah dran sind!
Die Landebahnen schlugen Schneisen in grüne Wiesen, die in der Ferne in Hügel übergingen und an Golfplätze erinnerten. Am Horizont ringsum Wald. Dahinter die Doppelhaushälften von Niendorf,
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