Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Superdaddy: Roman (German Edition)

Superdaddy: Roman (German Edition)

Titel: Superdaddy: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Sören Sieg
Vom Netzwerk:
konzentrieren kann? Ich trank die 0,2 Liter O-Saft aus (synthetisches Zuckerwasser, kann Spuren von Orangensaft enthalten). Ich verputzte die vier No-Name-Schokoriegel (Geschmacksrichtung: Cocos, Konsistenz: aufgeweicht). Ich ging den Text des Eisdielenmassakers noch einmal durch, wie ein Kammerjäger auf der Suche nach Ratten, die einen neuen Pesterreger übertragen, und dachte dabei an Kurt Tucholsky (»Man darf über alles reden, nur nicht über zwei Minuten«). Ich fand zwanzig Worte, die ich weglassen konnte: elf Sekunden. Ich schrieb eine SMS an Charlotte, (sie wollen, dass ich EM um weitere 30 s kürze. was tun?) , dann aß ich den Apfel, obwohl er so aussah, als ob er nicht schmecken würde (er schmeckte widerlich), und las die Antwort von Charlotte (mach’s NICHT!!!) . Und dann traf ich eine Entscheidung. Und atmete auf. Es ging mir wieder gut. Zum ersten Mal seit langem.
    Der Produktionsassistent starrte auf das Sendeskript. Sein Finger lief über die Zeilen. Jedes Wort war schon vorher fixiert wie in einem Filmdrehbuch, mit dem Unterschied, dass Filmschauspieler manchmal improvisieren. Mike Hasenmüller nicht.
    »Das war ja nun wirklich unglaublich«, japste er gerade, »fünfundzwanzig Radiergummis! Hat eine Dame hier im Saal jetzt Interesse an einem Zungenkuss? Nicht? Also Kinder, nicht zu Hause nachmachen!«
    Gestern bei den Proben war Hasenmüller noch durch einen Praktikanten ersetzt worden, der die launigen Moderationen mit sächsischer Leierstimme vorgelesen hatte. Selbst das war unterhaltsamer gewesen als Hasenmüller, der versuchte, seiner Stimme einen lustigen Klang zu geben.
    »Gleich kommen Sie«, flüsterte der Assistent mir zu.
    »Äh, Regie?«, unterbrach Hasenmüller sich selbst. »Muss ich das bringen mit dem Zungenkuss?«
    Es knackte. Eine Telefonstimme aus dem Off: »Hast du was Besseres?«
    Ich konnte Hasenmüllers Gesicht von meiner Position aus sehen. Er versuchte so auszusehen, als ob er nachdachte, aber sein Kopf war leer. Er zählte einfach nur bis drei.
    »Okay, weiter.« Er switchte wieder in den Gute-Laune-Modus. »Stichwort Kinder: Welches Kind wünschte sich nicht einen Supervater?«
    »Noch acht Sekunden«, flüsterte der Assistent.
    »Einen echten Superdaddy! Der ihm mal so richtig viele Kugeln Eis kauft? Also: so richtig, richtig viele?«
    Ich brach innerlich zusammen. Musste er wirklich noch die letzte Pointe im Voraus verraten?
    »Richtig geraten: Hier kommt der SUPERDADDY!«
    Der Assistent gab mir einen Schubs, und ich marschierte los, während die Band Hey, Pippi Langstrumpf! spielte.
    »Direkt auf den Moderator zu«, befahl die Regie.
    »Hi, Philipp!«
    Hasenmüller packte meine Hand und lächelte wie in einer Joghurt-Reklame. Machte er nicht tatsächlich Reklame für Joghurt? Oder für Fleischwurst? Wahrscheinlich für beides. Irgendwas war mit seinen Füßen. Sie standen nicht normal, sondern in einem ganz merkwürdigen Winkel. Versuchte er verzweifelt, auf zwei Markierungen zu stehen?
    »Hi, Mike.«
    »Moment«, unterbrach die Regie. »Sie sagen nur ›Hi‹. Der Vorname klingt zu vertraulich.«
    Ich verzog kurz das Gesicht. Hatte mich Mike nicht auch mit Vornamen begrüßt? Egal, Hasenmüller redete schon weiter. Ich war immer zu langsam, wenn es um meine Rechte ging.
    »Philipp«, Hasenmüller zog eine Augenbraue hoch, »du bist ja bekannt dafür, dass du gerne aus Auftritten flüchtest, weil eins deiner zahlreichen Kinder ein akutes Problem hat. Lass mich raten, was ist jetzt grade los? a) Deine große Tochter hat grade ihren Musiklehrer verprügelt. b) Dein mittlerer Sohn hat aus Versehen seinen Zwerghamster verschluckt. Oder c) Dein kleiner Sohn hat sein Chemielabor ausprobiert und dabei die obere Etage eures Hauses abgefackelt.«
    Mann, war das witzig. Wir hatten noch gar kein Haus. Wir lebten immer noch in der viel zu kleinen Wohnung mit dem Schlafsofa, wir hatten einfach keine Zeit zu suchen. Also – was sollte ich antworten? Niemand hatte mir das Skript gegeben. Deshalb sah ich vermutlich so aus, als ob mich gerade der chinesische Geheimdienst verhören würde. Auf Mandarin.
    »Sie sagen«, verkündete die Regie über Lautsprecher, »›Nein, meine Kinder wollen trotz der klirrenden Kälte unbedingt ein Eis.‹ Und dann direkt die Nummer.«
    Hasenmüller sah mich auffordernd an.
    Ich sagte die Sätze und begann die Nummer.
    »Kamera eins«, schnarrte die Regie. »Die ersten beiden Sätze in Kamera eins!«
    Jetzt ging das wieder los. Ich spulte den Text

Weitere Kostenlose Bücher