Superdaddy: Roman (German Edition)
den unfähigen Moderator, ihren unfähigen Agenten und ihr aktuelles Projekt, das gerade richtig durch die Decke ging. Aber keiner erwähnte seine Kinder. Als wären sie eine Warze im Nacken. Oder eine verbogene Nasenscheidewand.
Radiergummi-Torben wandte seinen Blick vom Plasmabildschirm ab, ließ ihn durch den Raum schweifen und landete wie zufällig in Ines’ Dekolleté. Umso mehr erschrak er, als der Produktionsassistent ihn von der anderen Seite antippte. Torben wollte etwas sagen, wahrscheinlich fürchtete er, sich schon beim ersten Radiergummi übergeben zu müssen. Aber der Assistent war nicht Franz von Assisi, sondern Franz aus Riesa, und in seinem Gesicht war keine Barmherzigkeit, sondern nur ein riesiger, schwarzer Vollbart. Er blickte abwechselnd auf das Skript, den Bildschirm und seine Uhr, zog Torben zur Tür und verschwand mit ihm. Und als das Publikum das Radiergummimonster, wie Hasenmüller ihn ankündigte, mit einem lahmen Applaus begrüßte, spürte ich plötzlich den verdorbenen Geschmack des blassgrünen Apfels, den ich vorhin im zweiten UG gegessen hatte. Und dachte an die SMS. Ich hätte jetzt Charlotte anrufen müssen oder wenigstens Sandra, unsere Babysitterin, aber ich stand wie eine Topfpflanze hinter dem Sofa, auf dem der mehrfache Wimbledonsieger saß. Niemand hatte sich getraut, sich zu ihm zu setzen, auch ich nicht. Ich stand da und sah, wie Torben, schon hellgrün im Gesicht, Radiergummis in den Mund geschoben bekam, eins nach dem anderen. Torben konzentrierte sich. Aber er würde nicht durchhalten. Er würde in die Fernsehgeschichte eingehen als der Typ, der vor laufender Kamera zwanzig Radiergummis ausgekotzt hatte. Sein Gesicht war Angst. Es war eine Frage von Sekunden. Ich musste mit Charlotte reden, aber ich hing am Bildschirm, an Radiergummi Nummer vierundzwanzig, das sie ihm gerade reindrückten.
»Vielleicht hat er den Mund etwas zu voll genommen!«, spaßte Hasenmüller. Niemand lachte.
Nummer fünfundzwanzig. Torben blickte mit aufgerissenen Augen in den Studiohimmel. Gab es einen Notfallknopf wie auf der Pflegeheim-Toilette?
Der Moderator hielt beide Daumen nach oben, und Torben fing an zu rappen:
»You gotta lose yourself in the music
the moment you own it
you better never let it go go
you only get one chance
this opportunity comes once in a lifetime yo«
Aber das verstand nur ich. Denn was man hörte, war:
»U U U UUh U Uhh Uh Uh UUh Uh Uhh …«
Torben entspannte sich allmählich und begann, einstudierte Hiphopgesten zu vollführen und auf der Stelle zu hüpfen wie ein Boxer, das Publikum juchzte und johlte, und dann spuckte er die Radiergummis einfach in einem Schwall aus und genoss den Sturm, in dessen Auge er stand. Selbst Hasenmüller war auf seine missratene Art glücklich. Die Frau mit den Mäusen konnte nach Hause gehen. Der Radiergummi-Eminem würde die BILD -Titelstory werden, die Hasenmüller die nächste Quote garantierte. Torben hatte den unlustigsten Moderator der Welt gerettet. Und wir, die wir noch auf unseren Auftritt warteten, waren überflüssig geworden, egal, ob wir schon einen Oscar oder Wimbledon gewonnen hatten.
»Was für Wichser«, sagte der deutsche Schauspieler mit dem berühmten Nazischauspielervater, weil auch er begriffen hatte, dass sein Auftritt nicht über eine Randnotiz hinauskäme, egal, wie heftig er den Moderator beleidigen würde. Und das tat er jedes Mal, wenn er hier eingeladen war.
Und jetzt war ich dran. Der vollbärtige Franz flüsterte mir etwas zu, was ich nicht verstand. Ines lächelte lieb. Sie wollte, dass ich jetzt ohne Protest das amputierte Eisdielenmassaker ablieferte. Und in diesem Moment fielen mir unsere ersten sechs Jahre wieder ein. Wie sie sich durch jede Kleinkunstparty der Republik gesoffen hatte, um mir irgendeinen Mixed-Show-Auftritt in Osnabrück zu besorgen. Wie sie bis zur absoluten Erniedrigung hinter jeder Fernsehredaktion jedes Lokalsenders hinterhertelefoniert hatte. Ich war es ihr schuldig. Jede Agentin hatte diesen Traum: einmal einen eigenen Künstler in Top , die Wette gilt! zu platzieren. Ich lächelte zurück. Ich würde sie nicht im Stich lassen. Ich würde ihren Traum nicht platzen lassen. Im nächsten Moment hörte ich den Saalapplaus, und vor mir stand Mike im rosa Frack.
»Philipp«, sagte er, während der Applaus noch bebte, »du bist ja bekannt dafür, dass du gerne aus Auftritten flüchtest, weil eins deiner zahlreichen Kinder ein akutes Problem hat.«
Ein akutes Problem,
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