Superdaddy: Roman (German Edition)
verpissen.
»Na, Große? Was geht?«
»Geht so.« Sie sah noch verquollener aus als ich. Als hätte sie die Nacht zur Abwechslung mal wieder durchwacht und durchheult.
»Chris?«
Sie zog den Rotz in ihrer Nase hoch und sah mich kaltblütig an. »Quatsch. Gestern Abend haben die Bullen Paolo zusammengeschlagen.«
Paolo. Oje. Ein 15-jähriger Möchtergernrevolutionär aus ihrer neuen Gruppe, den Schanzen-Tupamaros. Nach der südamerikanischen Stadtguerilla aus den 70ern, die schon Baader und Ensslin inspiriert hatten. Die Geschichte wiederholt sich. Einmal als Tragödie, einmal als Farce. Mit vierzehn war Luna für so eine Truppe deutlich zu jung.
»Und wieso?«
»Weil er schwarz ist. Reicht doch, oder?«
Na ja, schwarz. Paolo war ganz leicht pigmentiert, seine Mutter kam aus Rio, sein Vater aus Uelzen. Hätte auch eine defekte Sonnenstudioröhre sein können.
»Habt ihr ’n Auto angezündet?« Ich kannte das aus meiner Studienzeit. ›Gewalt gegen Sachen‹ war die aufgeblasene Formel derer, die beim Zerstören harmloser Dinge das Gefühl haben wollten, die Welt zu verbessern. Nur eine Menschengruppe war noch eitler als deutsche Fernsehmoderatoren: Hamburger Autonome.
»Wir haben was gesprayt. Und als der Scheißbulle uns festnehmen wollte, hat Paolo ihm eine verpasst.«
»Wie, verpasst?«
»In die Eier halt.«
Mir wurde flau im Magen. Ich saß fünfhundert Kilometer südöstlich von meiner Tochter, die mit ihren Kumpels den Kapitalismus in Gestalt von Streifenbeamten im Straßenkampf herausfordern wollte.
»Und dann haben sie ihn rangenommen?«
Sie strich dem purrenden Tröte über den Kopf. »Fast totgeprügelt, Papa. John hat’s mit dem Handy aufgenommen. Das haben sie ihm dann aus der Hand gerissen. Und zertreten. Aber heute schlagen wir zurück.«
»Seit wann kannst du Kickboxen?«
»Großdemo. Die können sich auf was gefasst machen.«
Ich ging ganz nah an die Kamera. »Luna?«
»Ja?«
»Du – gehst – da – nicht – hin!«
Luna strich mechanisch über Trötes schwarzbraunes Rückenfell.
»Verstanden?«
»Das war ein rassistischer Übergriff, Papa. Das können wir nicht durchgehen lassen. Weißt du, wie Flüchtlinge in dieser Gesellschaft behandelt werden?«
»Jetzt lass mich mal«, drängte Charlotte ins Bild.
»Charlotte, ich …«
»Alles wird gut«, beruhigte mich Charlotte, während Luna mir noch zuwinkte, ehe sie vom Bildschirm verschwand.
»Jetzt will ich dir endlich mal die Nachricht des Monats verkünden.«
Sie war bester Laune. Wahrscheinlich wurde ihr neuer Aufsatz ›Loser Man‹ im American Journal of Sociology veröffentlicht. Dass ihre Tochter grade in einen Gummiknüppeleinsatz hineinlief, bemerkte sie gar nicht.
»Also.« Sie leckte sich lüstern über die Lippen. »Willst du’s wissen?«
»Du hast dir endlich die Brüste verkleinern lassen.«
Sie lächelte milde. Und machte eine dramatische Pause. Aber wofür? War sie schwanger? Oder hatte sich die FDP soeben selbst aufgelöst?
»Bielefeld hat zugesagt!«
»Wie, Bielefeld?«
Sie beugte sich noch weiter vor. »Sie geben mir einen Sonderforschungsbereich! Väterpolitik und Männlichkeitskonzepte.«
Das war ein Schock. Ich fühlte mich, als hätte ich versehentlich eine Kreuzspinne verschluckt. Und einen Schwarm Fliegen. Ich hatte das Wort Bielefeld schon mal gehört. Aber nicht damit gerechnet, dass Charlotte mein Tourneeleben zum Anlass nehmen würde, in einer zweihundertfünfzig Kilometer entfernten Puddingstadt ein Forschungszentrum zu eröffnen. Zum Thema: Warum können moderne Menner das Wort Man nicht buchstabieren?
»Sie … geben dir …«
»Mit drei Doktorandenstellen! Und sechs Hiwis. Und NOCH einer Professorin. Aber ich LEITE das Ganze, verstehst du?«
Eine Art Nobelpreis für Soziologie. Charlotte kriegte ihn. Mit 37. Ich hätte stolz sein müssen. Aber was war mit den Schanzen-Tupamaros, der Kletter-Bundesliga und Jugend geigt? Mir wurde schwarz vor Augen. Ich wollte augenblicklich nach Hamburg und sie einmal durchrütteln. Bedeutete moderne Mütterpolitik, aus der Familie zu verschwinden? Konnte sie Bielefeld nicht noch in zehn Jahren machen? Bedeuteten wir ihr so viel wie ein Kaugummi an ihren High Heels? Ich räusperte mich. Ich schloss kurz die Augen. Und hörte mich sagen: »Charlotte, das ist wirklich toll.« Ich versuchte sogar zu lächeln.
»Ich wusste, dass du dich freuen würdest! Bergmann hat das für mich eingetütet. Und nächste Woche …«
Die Worte sprudelten aus ihr
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