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Superdaddy: Roman (German Edition)

Superdaddy: Roman (German Edition)

Titel: Superdaddy: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Sören Sieg
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dachte ich. Genau. Erwähne es lieber nicht. Bitte nicht. In deinem Interesse.
    »Lass mich raten, was ist jetzt grade los?«
    Wie bei den Proben zog er genau jetzt eine Augenbraue hoch. Stand das auch im Skript? Er zählte die Alternativen auf, und ich sah ihn an. So viel Dämlichkeit passte normalerweise gar nicht in ein Gesicht. Ein Karrierist wie aus dem Bilderbuch. Aber im Gegensatz zu wem eigentlich? War ich eine Spur besser?
    »Also«, schleimte er, »was ist es diesmal?«
    »Hi, Mike.«
    Ich hatte zwar nicht auf seine Frage geantwortet, aber etwas Zeit gewonnen. Die SMS. Ich hörte Lunas Stimme dazu. Ich sah ihr Gesicht. Das Gesicht meiner Tochter.
    »Na?«, hakte Mike nach. Er hoffte, dass ich nur ein bisschen aufgeregt war, weil ich noch nie so viele Zuschauer gehabt hatte.
    »A, b oder c?«
    Die Angst, vor vielen Menschen zu sprechen. Für viele war sie größer als die Angst vor dem Tod. Aber das war nicht der Punkt, Mike. Das wäre noch das Einfachste gewesen. Der Punkt war, dass ich jetzt wieder genau wusste, was ich zu tun hatte.
    »Ich … ich würde jetzt wirklich gerne das Eisdielenmassaker spielen. Aber …« Ich sah Luna vor mir. Ich schluckte. Eine Welle von Traurigkeit überlief mich. Ich konnte sie nicht stoppen, no way. »Ich habe gerade erfahren, dass meine Tochter auf einer unangemeldeten Demonstration …« Ich musste die Augen schließen, es war absurd, das hier zu sagen. Aber das Einzige, was mir blieb. »… von Bereitschaftspolizisten zusammengeschlagen wurde und ins Krankenhaus eingeliefert worden ist.«
    Ich biss mir auf die Oberlippe und sah Mike in die Augen. Ich sah blankes Entsetzen. Ich war vom Skript abgewichen, das war es, was ihn bestürzte. Er musste sich einen Satz ausdenken, der nicht auf dem Teleprompter stand. Ihm fiel keiner ein. Darum sprach ich einfach weiter.
    »Ich werde mich jetzt in meinen Jeep setzen und zu ihr fahren. Ohne Tempolimit.«
    Mike sah mich so ungläubig an, als hätte ich mich gerade in einen sprechenden Frosch verwandelt. Und ihm einen Heiratsantrag gemacht.
    »Es tut mir leid«, sagte ich und winkte dem Saalpublikum zu, das mir auch ohne hochgehaltenes Schild einen überwältigenden Applaus spendete, der noch lange weiterbrandete, als ich schon zurück durch den Warteraum in meine Kabine im zweiten Untergeschoss hastete, um meine Sachen zusammenzuraffen, an Ines vorbei, die ich nicht ansah. Vielleicht der letzte Applaus, dachte ich, den ich im Fernsehen hören würde.

6
    Ich hörte Landungsbrücken raus von Kettcar, und Marcus Wiebuschs Stimme brannte sich mir ins Herz. Und zusammen mit dem hämmernden E-Bass sagte mir dieses Lied, dass es zu hundert Prozent richtig war, was ich tat: Mit 180 Stundenkilometern die A15, die A13, die A113, die A100, die A111 und schließlich die A24 entlangzuheizen, bei voll aufgedrehter Anlage, den blauen Schildern mit dem Wort Hamburg folgend, drei Stunden lang, zu meiner verletzten Tochter. Dazu war Rockmusik da, den Ekel vor der Art Dasein zu artikulieren, der ich eben entkommen war. Kettcars Mischung aus Verzweiflung und Coolness, aus Entäußerung und Echtheit war das genaue Gegenteil von Mike Hasenmüller und seinen weißen Mäusen. Wenn ich nach meinem Tod wider Erwarten vor einem Schöpfer stehe, werde ich ihm genau das vorhalten: wieso er die Welt so angelegt hat, dass niemand Marcus Wiebusch kennt, einen echten Künstler, dafür aber jeder den Vollidioten Mike Hasenmüller. Meine Intuition hatte mich in letzter Minute davor gerettet, mit diesem Mann zu kollaborieren, der eine Beleidigung für jeden Verstand war. Ich hörte zehn Mal Landungsbrücken raus, und dann noch Niemand , Streets of Philadelphia , Heroes und Give Blood . Manchmal war Musik lebensnotwendig, um wieder zu sich selbst zu kommen. Wenn ich das Gaspedal voll durchtrat, war ich vielleicht sogar noch vor Mitternacht in Hamburg. Um 0:08 Uhr überquerte ich die Elbbrücken und schwor mir, an meinem Geburtstag nie wieder woanders zu sein als bei meiner Familie. Es gab eine Grenze, Ines hatte sie überschritten, und ich hatte sie wiederhergestellt. In diesen drei Stunden auf der Autobahn war ich vollkommen sicher, dass ich das Richtige tat, eins mit meinem Grand Cherokee und meinen Helden, von Kettcar bis Gregor Meyle. Es war keine Laune gewesen, den Offroader zu kaufen, es hatte einen Zweck gehabt, der sich in diesem Moment erfüllte. Er brachte mich nach Hause. In meine Stadt. Zu meiner Tochter. In meine Wirklichkeit.
    Halb eins war ich am

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