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Superdaddy: Roman (German Edition)

Superdaddy: Roman (German Edition)

Titel: Superdaddy: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Sören Sieg
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Eröffnungsfeier 1884 nicht zugelassen? Frauen! Aber was haben die Suffragetten gemacht?«
    Ich wusste es nicht. Aber gleich würde ich es erfahren. Charlotte hatte den siebenhundert Seiten starken Lonely-Planet-Reiseführer gelesen. Und auswendig gelernt. Und während sie mir dessen Inhalt mit zweihundert Wörtern pro Minute übermittelte, sah sie wahnsinnig verführerisch aus, im Abendlicht der Heaven Below Bar im 52. Stock. Ein Zweiertisch am Abgrund mit Blick auf die 787 Skyscraper Manhattans. Ein Tipp von Max natürlich. Zehn Tage Bedenkzeit hatte ich Antonia LaGuardia abgehandelt. Aber schon im Flugzeug nach New York hatte ich mich entschieden. Und seitdem hatte ich nach einer günstigen und ruhigen Gelegenheit gesucht, mit Charlotte darüber zu reden. Heute Abend war die letzte. Mein Ultimatum lief ab. Weil wir morgen wieder zurückflogen. Und dann auch noch mit den Kindern reden mussten. Um sie ging es schließlich bei dem Ganzen. Darum, welche Rolle sie in meinem und Charlottes Leben künftig spielen sollten.
    »Sie haben die Insel mit einem Ausflugsdampfer umkreist und gerufen: ›Shame on you! Shame on you!‹ Kennst du eigentlich das Gedicht von Emma Lazarus? Über die Freiheitsstatue?«
    Eigentlich hatte ich es ihr gleich am ersten Abend erzählen wollen, im Güzel, einem türkischen Restaurant in Tribeca, das ihr Reiseführer als Local Hot Spot angepriesen hatte. Wahrscheinlich aufgrund einer diskreten Zahlung von 60   000 türkischen Lire an den Reiseführerautor. Denn ich kannte dreißig bessere türkische Restaurants allein in Hamburg-Altona. Wir hatten Karniyarik gegessen, mit Hack gefüllte Auberginen, und Charlotte hatte so inbrünstig über die Ostalgia-Ausstellung im Museum of Contemporary Art geredet, dass ich mir selbst irgendwie zu unwichtig vorkam im Vergleich zu den rumänischen Performancekünstlern unter Ceauşescu.
    »Das Gedicht geht so«, sagte sie jetzt und erhob ihre rechte Hand, um das Pathos zu unterstreichen: »Behalte deine Paläste, altes Europa! Gib mir deine Müden, deine Armen / deine geknechteten Massen, die nach Freiheit dürsten! Ich bin nah am Heulen, wenn ich das nur aufsage. Weißt du, was die Amis uns echt voraushaben?«
    Am zweiten Tag hatten wir Downtown Manhattan in einem weißen Ausflugsschiff umrundet, eine Stunde auf dem Freideck im Wind, Charlotte hatte selig geschwiegen angesichts der grau-blauen Bilderbuch-Skyline, die Sonne im Gesicht, wie selten kam das vor, ein heiliger Moment. Aber immer, wenn ich gerade ansetzen wollte, begann wieder der Guide mit den polnischen Vorfahren, uns durch die Außenlautsprecher mit verzerrter Stimme zu verklickern, dass das riesige Gebäude vor uns mit dem 360-Grad-Netz der örtliche Golfclub sei.
    »Die Abschaffung des Adels!«, beantwortete sie jetzt triumphierend ihre eigene Frage. »Kein Guttenberg, kein Ernst August von Hannover. Guck mal da drüben, Macy’s, das größte Kaufhaus der Welt. Weißt du, wer das gegründet hat?«
    Am dritten Tag hatten wir nach zwei Stunden in der Warteschlange auf der Aussichtsplattform des Empire State Building gestanden, in der 102. Etage, Charlotte hatte sich an mich gelehnt und die Augen geschlossen, kein Guide hatte gestört, keine Musik geplärrt, vor uns der weltberühmte Blick auf Downtown Manhattan, und ich hatte begonnen: »Charlotte?« – »Ja?«, hatte sie gemurmelt, mit dieser trägen, gehauchten Stimme, die mich so anmacht. Ich hatte einen Moment gezögert, mich überwunden, und dann – hatte es angefangen zu schütten. So heftig, dass wir die Plattform fluchtartig hatten verlassen müssen. New York im April eben.
    »Stell dir das vor«, perlte Charlottes Redestrom jetzt weiter, »ein jüdischer Einwanderer, der mit neunzehn hier ankam. Mit nichts. Zweiundsechzig Jahre später starb er als reichster Amerikaner. Und musste sein Leben lang keine Steuern zahlen. Weißt du, warum?«
    Meine Frau war glücklich. Sie hatte eine Professur. Einen Sonderforschungsbereich. Und New York. Über alles drei konnte sie stundenlang reden. Im Wechsel. Gleich würde sie wieder mit Bielefeld anfangen. Aber heute war ich dran, Charlotte. Ich musste reden. Über mein Leben. Nur, wie konnte ich das bloß schaffen, sie zu unterbrechen?
    »Bis 1913 hat sich der Staat hier nur aus Zöllen finanziert! So wie der russische Staat bis 1914 vom Wodkaverkauf gelebt hat. Na ja, was soll man in der russischen Steppe auch anderes machen als saufen? Ist so ähnlich wie Bielefeld. Weißt du, woraus die ihren

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