Supernova
Falls es
außer Kontrolle geriet, konnte das unsäglich peinliche
Folgen haben. Doch die Spiegelwand hinter dem Waschbecken umfasste
auch einen richtigen Hautprogrammierer, der mit ihren Chromatophoren
kommunizieren und die Farbpigmente verändern konnte. Also
beschäftigte sie sich eine halbe Stunde intensiv damit, ihr
Make-up aufzufrischen. Sie entschied sich für tiefschwarze
Eyeliner, blaue Lippen, leichenblasse Haut und glänzendes
schwarzes Haar. Sollte mich jemand danach fragen, sage ich
einfach, dass ich in Trauer bin, dachte sie. Was noch nicht
einmal richtig gelogen war, wie ihr ein plötzlicher Anflug von
quälenden Schuldgefühlen bestätigte.
Anderthalb Stunden später schlüpfte sie so nackt wie ein
neugeborenes Küken aus dem Bad. Die Suite wirkte riesig, kalt
und leer. Noch schlimmer war, dass sie sich nicht vorstellen konnte,
die alten Klamotten wieder anzuziehen. Also schlenderte sie zum
Schrank hinüber und sah hinein. »Gibt es hier einen Katalog
der Kleidung, die das Ding herstellen kann?«, fragte sie.
Ein Leuchtkäfer geleitete sie zu dem Produktionsgerät in
der begehbaren Garderobe, die sie dort gar nicht vermutet hatte. Aus
der Wand ragte ein großer Kasten. »Bitte treffen Sie Ihre
Wahl. Die Kosten für Material und Energie setzen wir Ihnen auf
die Gesamtrechnung für den Zimmerservice.«
»Oh.« Nachdem sie fünf Minuten lang die Muster
durchgegangen war, wusste sie nur eines mit Sicherheit: Wer auch
immer dieses Designarchiv programmiert haben mochte, hatte dabei
nicht sie im Auge gehabt. Irgendwann entschied sie sich für eine
Grundausstattung von Unterwäsche, schwarze Hosen und ein
langärmeliges Oberteil, das ihre Augen nicht allzu sehr
beleidigte. Für die Füße bestellte sie sich Socken
mit eingearbeiteten Gummisohlen. Das Gerät begann zu summen und
stieß schon eine Minute später eine ganze Ladung
heißer, frischer Kleidungsstücke aus, die immer noch
leicht nach Lösungsmitteln rochen. Wednesday zog sie sofort an. Könnte wetten, dass die Geschäfte teurer sind, aber
bessere Sachen anbieten, dachte sie zynisch.
Nachdem sie sich eine Stunde lang in der Geschäftszeile auf
Deck F umgesehen hatte, war sie davon überzeugt. Die Namen
sagten ihr zwar nichts, aber die Haltung des Personals – und die
im Schaufenster ausgestellten Angebote – besagten alles. Die
Preise entsprachen genau dem Bedarf der reichen Tussi, die sie, wie
Hermann vorgeschlagen hatte, spielen sollte. Doch aus Wednesdays
Perspektive war dieser Schaufensterbummel ein totaler Reinfall: Die
Angebote galten einer Zielgruppe, die viel zu alt war, selbst wenn
sich diese Menschen gut gehalten hatten. Die ultrafemininen Abend-
und Tageskleider waren bewusst auf altmodische
Verführungskünste angelegt, die Geschäfte für
Menschen aus Überflussgesellschaften mit entsprechenden
Dress-Codes allzu bizarr, und diejenigen, die Alltagskleidung
anboten, zu konservativ. Was soll ich denn mit so was anfangen,
soll ich das Ding etwa zu Geschäftsbesprechungen tragen?, dachte sie, als sie ein exquisit geschnittenes Jackett
befingerte. Nichts war so verrückt oder ausgefallen, dass es
ihre Fantasie beflügelt hätte. Es machte keinen
Spaß.
Schließlich erwarb sie eine Hosenrock-Kombination aus
weißer Spitze, die sie zum Abendessen tragen wollte, und
beließ es dabei. Allmählich dämmerte ihr die grausame
Wahrheit: Ich hab zwar eine riesige Suite ganz für mich
allein, aber nichts zu tun! Und ich bin eine ganze Woche hier! Ohne
Spielzeug. Wednesday hatte keinen Reisegefährten, es sei
denn, sie entschloss sich dazu, Frank zu belästigen, wobei sie
nicht wusste, wie er darauf reagieren würde. Er sah noch jung
aus, aber sein Alter war schwer abzuschätzen. Und er muss
arbeiten. Außerdem gibt es keine neuen Entwicklungen. Nicht, solange das Schiff mit einer Reihe von
kausalitätsverletzenden Sprüngen beschäftigt war und
mit Hilfe seines Antriebskerns nach einem Kettenstichmuster durch die
Raumzeit glitt. Und die Geschäfte taugen nichts. Mit
wachsender Skepsis ließ sie den Blick über das mit
Diamantglas eingefasste Atrium schweifen. Außerdem
würde ich wetten, dass die anderen Passagiere der Luxusklasse
alle langweilige Arschlöcher, Diplomaten, reiche alte
Geschäftsfrauen mit eigenen Handelsimperien und ähnliche
Leute sind. Eindeutig reisten nur sehr wenige Menschen ihrer
Altersgruppe auf diese Weise.
Ich langweile mich jetzt schon! Und bis zum Abendessen sind es
noch drei Stunden!
»Fütterungszeit im Zoo«,
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