Supernova
war,
schließlich hatte die junge Frau eine ähnliche Figur wie
sie selbst.
»Oh, achten Sie gar nicht auf mich. Ich bleib hier einfach in
der Ecke sitzen und lass mich voll laufen, bis ich eine neue Leber
brauche. Bin sicher, dass der Treuhandfonds dafür
aufkommt.« Der letzte Satz kam völlig monoton heraus,
während sie Steffis Blick erwiderte. Irgendetwas stimmt hier
nicht, wurde Steffi klar.
»In der Regel bemühen wir uns, nicht zu viel zu trinken,
zumindest nicht bis nach dem Essen«, bemerkte sie leichthin.
»Wie war doch Ihr Name?«
»Wednesday«, sagte das Mädchen – die junge
Frau? Die Alkoholikerin, die Probleme machen konnte? – mit
leiser Stimme. »Das ist mein Spitzname. Nach Ihrer
Passagierliste Victoria Strowger, das sagt auch mein
Ausweis.«
»Was immer Ihnen am liebsten ist«, erwiderte Steffi
vorsichtig.
Die Vorspeise wurde serviert, delikat zubereitete kleine
Lachsmedaillons in einer weißen Sauce. Steffi gelang es, die
dicke Handelskauffrau Fiona zu einem Lobgesang auf die Vorteile eines
unverzüglichen virtuellen Umrechnungsverfahrens via Kausalkanal
für die allgemeine Währung zu bewegen. Es sei viel
umständlicher, sagte sie, das Kapital von Welten, die viele
Lichtjahre voneinander trennten, gegeneinander aufzurechnen und dabei
den Faktor der Zeitverschiebung zu berücksichtigen. Irgendwie
erleichterte es Steffi, dass ein Vortrag über die Implikationen
der Zeitreise für die Währungskontrolle die drei jungen
Führungspersönlichkeiten des Stamms Todt (was das auch sein
mochte) zu fesseln vermochte – obwohl sie anscheinend nicht
allem folgen konnten. Derweil stürzte sich Wednesday so wild
entschlossen auf ihr drittes Glas Wein, dass Steffi sich an einige
viel ältere, angegraute Passagiere erinnert fühlte, denen
sie früher begegnet war. Das waren keine richtigen Alkoholiker
gewesen, sondern Menschen, die von irgendeinem Dämon besessen
waren. Und dieser Dämon brachte sie dazu, morgens mit einem
Kater aufzuwachen, forderte einen Exorzismus heraus, der mit seinen
äußerst qualvollen Methoden an Selbstverstümmelung
grenzte. Wenn man sich schon zu Beginn einer Reise, ehe einem die
Langeweile zu schaffen machte, derart betrank, hieß das nichts
Gutes. Und was Wednesdays Gespür für angemessene Kleidung
betraf, war Steffi, obwohl sie auch nicht jede Mode mitmachte,
durchaus klar, dass sich das Mädchen auf seine
Improvisationsgabe verließ und keineswegs planvoll für die
Reise gepackt hatte, weil sie es offenbar nicht für nötig
gehalten hatte.
Die ganze Situation eskalierte erst, als das Dessert serviert
wurde. Steffi machte den taktischen Fehler, Mathilde nochmals zu
fragen, was das Dasein als Übermensch ihr persönlich
bringe. Seit Mathildes Bemerkung über ihr sehr erfülltes
Leben hatte sich Steffi ständig gefragt: Ist es eine
Religion? Oder eine politische Theorie?
Mathilde entschloss sich zu einer Belehrung. »Durch die
Entwicklung zum Übermenschen gewinnen Sie eine ganz neue
Lebensperspektive«, erklärte sie der Tischrunde im vollen
Ernst, während Peter und Hans anerkennend nickten. »Es ist
eine Lebensweise, die dafür sorgt, dass all unsere Handlungen
auf das höchste Gut ausgerichtet sind. Aber wir sind keine
Sklaven: Die Unterwürfigkeit, wie sie im dekadenten,
degenerierten Islam ausgeprägt ist, gibt es bei uns nicht. Wir
sind frische, freie, starke Menschen und nehmen freudig die
Bürde auf uns, für die große Sache zu arbeiten, denn
wir haben ein gemeinsames Ziel: eine helle Zukunft zu schaffen, in
der es allen Menschen offen steht, ihr Potenzial so weit wie nur
möglich zu entwickeln – befreit vom Schatten des
menschenfeindlichen Eschaton, befreit von den Fesseln des
Aberglaubens und der unwissenschaftlichen Denkweisen.«
Wednesday, die bis dahin ihr leeres Weinglas hin und her gedreht
hatte – nach dem vierten Glas hatte Steffi diskret darauf
verzichtet, ihr nachzuschenken –, setzte ihr Glas auf dem Tisch
ab. Nachdem sie eine Fingerspitze mit der Zunge befeuchtet hatte,
begann sie, langsam am Glasrand entlangzureiben.
»Die Stämme der Übermenschen sind nach Divisionen
untergliedert, und deren Mitglieder arbeiten zusammen. Wir lassen
unseren Kindern die bestmögliche Erziehung angedeihen; unsere
Kinderhorte widmen sich ihnen mit all der Hingabe und all der
Aufmerksamkeit selbst für Kleinigkeiten, die überhaupt
denkbar sind. Und sobald sie alt genug sind, einen Sinn und eine
Richtung im Leben zu suchen, beauftragen wir sie mit Arbeiten,
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