Supernova
»Sieht nach einer Strahlungsdosis von zehn CentiGrays pro
Stunde aus. Wenn man in einem Raumanzug hinausginge, wäre man in
ein bis zwei Stunden strahlenkrank, aber für den Schutzschild
des Schiffes liegt das durchaus noch innerhalb der Toleranzen. Und
die Raumstation ist bei einem kurzen Aufenthalt wahrscheinlich auch
nicht weiter gefährlich.«
Eine der Marionetten murmelte der anderen etwas zu. Gleich darauf
beugte sich der Mann zur Seite und machte sich daran, die Steuerung
des Hilfsantriebs vorzunehmen, die viele Eingaben erforderte. Jamil
hatte ihre Parameter so verändert, dass sie annahmen, sie
wären allein auf der Brücke. Ihre ganze Aufmerksamkeit galt
dem Andockmanöver.
»Das ist das Schönste, was ich je gesehen habe«,
murmelte Portia und starrte auf die violetten und roten
Rauchvorhänge, die um den Schockring des toten Sterns kreisten.
»Und auch das Hässlichste.« Ihre Hände spannten
sich um die Rückenlehne des Kommandositzes. Es fiel ihr sichtbar
schwer, sich von dem Anblick loszureißen und wieder auf die
anstehende Arbeit zu konzentrieren. Sie sah Franz an. »Ist die
Geisel so weit? Wie steht’s mit Ihnen? Ist Ihnen klar, was Sie
zu tun haben?«
»Ja, Chefin.« Franz nickte und bemühte sich, keine
Gefühlsregung erkennen zu lassen. Sie lächelte ihm mit
einer, oberflächlich betrachtet, freundlichen Miene zu, die ihn
in Rage brachte. Ein Teil von ihm hätte ihr am liebsten ins
Gesicht geschlagen, sie getreten, gebissen und mit eigenen
Händen zerrissen, bis sie sich nicht mehr rührte. Ein
anderer Teil von ihm wollte sich ihr zu Füßen werfen und
um Vergebung flehen. »Wir halten die Passagiere in den
Evakuierungszonen fest und setzen die Gänge dem Vakuum aus. Dann
zwinge ich das Mädchen, sich zu zeigen, und bringe es zu Ihnen
und den anderen auf die Raumstation. Ähm, darf ich fragen, wie
wir bei der Evakuierung vorgehen?«
»Sie dürfen.« Portia starrte nachdenklich auf den
Bildschirm, während die Marionetten leise miteinander redeten
und eine Kurskorrektur eingaben, um das viele Megatonnen schwere
Linienschiff näher an die Docks in der Radnabe der riesigen
Raumstation heranzumanövrieren. Am anderen Ende der Spindel
trieben gewaltige Ballonbehälter voller Methan, die mit einer
eisigen Kohlenmonoxidschicht überzogen waren – Auswirkung
der Schockwelle, die vor Jahren über die Raumstation
hinweggebrandet war.
»Chefin?«, fragte Franz nervös.
»Die Heidegger kommt hier in anderthalb Tagen an. Ehe
wir diese Raumstation verlassen, ziehen wir die Marionetten schlicht
aus dem Verkehr und machen das Bordnetz für die Flugkontrolle
unbrauchbar. Auf dem Schiff gibt es genügend Lebensmittel –
dazu kommen ja auch noch die Vorräte auf der Raumstation –,
um die Passagiere ein paar Monate am Leben zu halten. Bis dahin
schaffen wir es, ein Säuberungsteam hierher zu schicken, das
groß genug ist, sich alle Passagiere vorzunehmen. Falls sie
nicht kooperieren, kann das Säuberungsteam die Raumstation
für Zielübungen nutzen: Das wird auf Jahrzehnte hinaus
niemand bemerken. Sobald wir die Passagiere entsprechend
präpariert haben, können wir sie mit der Romanow auf
eine der Kernwelten verfrachten und dort die Wiederverwertung
vornehmen. Man kann sie genauso gut hier wie irgendwo anders lagern,
meinen Sie nicht?«
»Aber die Unterlagen! Wenn irgendjemand sie
findet…«
»Locker bleiben, dieser Fall wird nicht eintreten. Seit
Jahren ist niemand mehr hier gewesen. Es rentiert sich nicht, die
Raumstation wieder in Betrieb zu nehmen, es sei denn, man hat ein
ganz bestimmtes Ziel vor Augen. Und sie liegt zu weit ab vom Schuss,
als dass sich das Ausschlachten lohnen würde. Wir müssen
lediglich die gestohlenen Unterlagen bergen, über den
TALIGENT-Kanal des Stationsleiters die Signale übermitteln und
die Romanow so programmieren, dass sie für ein paar
Monate als Gefängnis dienen kann.«
»Was, wenn sie…« Franz führte den Satz nicht
zu Ende.
»Sie haben an die verschollene Brückenoffizierin
gedacht, wie?«, bohrte Hoechst nach. »Machen Sie sich keine
Sorgen. Die ist noch in der Ausbildung und eindeutig nicht in der
Lage, das Schiff ohne fremde Hilfe wieder zu übernehmen –
wo immer sie auch stecken mag. Wir lassen Ihnen eine Abordnung von
Wachen da, wenn die Heidegger hier gelandet ist. Nur um
sicherzustellen, dass die nichts Dummes probieren.« Sie grinste
breit. »Es wäre schön, wenn Sie sich etwas Kreatives
einfallen lassen könnten, um das Cockpit zu verminen,
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