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Supernova

Supernova

Titel: Supernova Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Charles Stross
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müde und riss sich von einem Anruf los, den sie auf
dem in ihrem Handgelenk implantierten Apparat entgegengenommen
hatte.
    »Oh, der Künstler fordert also, zum König von
Afrika oder ähnlichem Quatsch gekrönt zu werden. Ich lehne
das höflich ab und biete ihm im Gegenzug an, dass er sich zum
Herrscher des Rinnsteins zwischen Wohnblock neunzehn und
einundzwanzig der Rue Tabazan krönen lassen kann, falls er nicht
still und friedlich abzieht. Zu diesem Zeitpunkt trug ich keine
kugelsichere Kleidung. Als Monsieur l’artiste eine Waffe
auf mich richtete, bin ich an seiner Stelle still und
friedlich abgezogen. Und hab im Übrigen meinem Schicksal
gedankt, dass ich so davongekommen bin.«
    »Was ist das für eine Waffe?«
    »Laut Datenbank eine Originalkopie der historischen
Kalaschnikow.«
    »Haben Sie irgendwelche Anzeichen für eine Bombe
entdecken können?«, fragte Rachel mit flauem Gefühl im
Magen.
    »Nur die Abzugssicherung, die an seinem linken Handgelenk
festgebunden war«, erwiderte Schwanz mit funkelnden Augen. Durch
das dicke Visier seines Helms waren sie gerade noch zu erkennen.
»Aber mein Helm hat langsamen Neutronenfluss festgestellt und
ihn, mit Verlaub gesagt, als waffenfähiges Uran
identifiziert.«
    »Oh, Scheiße!« Rachel beugte sich vor,
während ihre Gedanken vor und zurück rasten: Erpressung
mittels einer Atombombe. Eine Sicherungsvorrichtung. Eine einfache,
aber tödliche Uran-Waffe. Der Idiot liegt blutend da, in der
Ferne der Doppelblitz des Strahlenimpulses, der die Abendluft
versengt. Der Plasmaschild flackert auf und gibt den Hitzeimpuls
frei. Idi Amin Dada, der einen toten Diktator bis zur Vollendung
verkörpert. Noch einundfünfzig Minuten bis zur Explosion,
falls er den Mumm hat, die Sache durchzuziehen. Ein geschmähter
Performance-Künstler. Wie würde sich ein Künstler in
einer solchen Situation verhalten?
    »Wenn man ihm nur irgendeine Gelegenheit und ein Publikum
zugesteht, wird er auf den Knopf drücken«, murmelte sie vor
sich hin.
    »Wie bitte?«
    Durchs Fenster blickte sie auf den steten Strom der Armen, die
ihre Wohnungen hatten räumen müssen und jetzt
weggeführt wurden. Es waren eindeutig arme Menschen; die meisten
hatten schiefe, unförmige oder sonst wie verunstaltete Gesichter
– Gesichter, wie die Natur sie geschaffen hatte. Ein oder zwei
wirkten tatsächlich alt. »Er ist
Künstler«, bemerkte sie gelassen. »Mit solchen Typen
hab ich auch früher schon zu tun gehabt, ist noch gar nicht
lange her. Wie der böse Bube richtig gesagt hat: Gib einem
Künstler nie ’ne Browning in die Hand. Sie zählen
zu den gefährlichsten Leuten, denen man begegnen kann. Die
Fringe-Künstler des Festivals – Scheiße!
Künstler wünschen sich fast immer ein Publikum für
ihre Zerstörungsspektakel. Schon der Name – Dadaist. Das
sagt doch schon alles. Am besten, man geht von einem sinnlosen, weit
reichenden Akt der Gewalt aus, einem Zurschaustellen von Grausamkeit.
Eigentlich kann ich nicht viel mehr tun als ihn am Reden zu halten,
während Sie Ihre Stellungen beziehen, um ihn später zu
töten. Und gestehen Sie ihm bloß nichts zu, was er
fälschlicherweise für ein Publikum halten könnte. Was
hat der Abgleich der Profile ergeben?«
    »Er ist ein guter altmodischer Psychopath. Soll heißen:
ein gefährlicher durchgeknallter Drecksack«, erklärte
MacDougal mit finsterem Blick. Einen Augenblick zwinkerte sie so, als
hätte sie etwas im Auge. Gleich darauf schickte sie Rachel
weitere Informationen herüber. »Hier, lesen Sie’s
schnell, danach können Sie weiterreden. Uns wird wohl nicht mehr
viel Zeit zum Herumsitzen bleiben.«
    »Okay.« Rachels Nasenflügel bebten, plötzlich
nahm sie das üble Gemisch der Gerüche wahr: abgestandener
Kaffee, der Schweiß der Nervosität, die Ausdünstungen
einer mobilen Einsatzzentrale am Rande eines Katastrophenherds.
Gleich darauf konzentrierte sie sich auf die Notizen. Nicht, dass sie
viel gebracht hätten. Es war nur die normale langweilige
Litanei: rot unterstrichene, ungetilgte Kreditraten, Zuweisungen der
Öffentlichen Hand, nicht eingehaltene Zusagen, Ausstellungen
(von versteinertem Kot!), eine fortgeschrittene Karriere als
Künstler, der das Kunststudium abgebrochen hatte oder hatte
abbrechen müssen. Idi hatte versucht, in die Armee zu kommen,
egal, in welche, aber nicht einmal eine zweitrangige private
Söldnergarnison in Wichita hatte ihn nehmen wollen. So
verrückt wie ein Käfig voller Eichhörnchen hieß es in einer viel

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