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Supernova

Supernova

Titel: Supernova Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Charles Stross
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konnte. Das bot auch
eine ausreichende Basis dafür, die wissenschaftliche Forschung
wieder aufzunehmen und voranzutreiben. Kurz gesagt, folgte jetzt eine
Epoche des Optimismus und der Expansion: Eine junge, energiegeladene,
pluralistische und bunt zusammengewürfelte Zivilisation
explodierte nach außen, erfasste auch die stellare
Nachbarschaft und fand ihre lange verschollenen Kinder wieder.
    Dennoch waren die Menschen hier nicht auf Rosen gebettet, wie
Rachel Mansour, die vor mehr als hundert Jahren auf dem Planeten Erde
geboren war, vermutlich besser wusste als die meisten anderen.

 
    »Ich bin jetzt so weit reinzugehen«, sagte sie leise,
während sie an der Wand neben der schäbigen grauen Tür
mit Aerogel-Beschichtung lehnte. Sie sah sich auf dem menschenleeren
Gang um, der feucht und modrig roch. Der zerschlissene Teppich
starrte vor Schmutz, da dessen Selbstreinigung vor den Unmassen von
Dreck kapituliert hatte, und die meisten Lampen waren
beschädigt. »Hat jeder seine Stellung bezogen?«
    »Wir müssen noch einige schwere Gerätschaften
zusammenmontieren. Versuchen Sie zumindest in den ersten zehn
Sekunden, ohne uns auszukommen. Danach sind wir zur Stelle, wenn Sie
uns brauchen.«
    »Okay, also los.« Aus irgendeinem Grund wünschte
Rachel, sie hätte jetzt Madame Vorsitzende an ihrer Seite
gehabt. Denn dann hätte die Dame mit eigenen Augen sehen
können, für welche Arbeiten das von ihr verwaltete
»Unterhaltungs«-Budget des Diplomatischen Dienstes
verwendet wurde. Rachel schüttelte sich, holte tief Luft und
klopfte an die Tür. Madame Vorsitzende würde alles in ihrem
gemütlichen Besprechungszimmer nachlesen können, sobald die
Medien diese Sache aufgeschnappt hatten. Im Augenblick jedoch war es
Rachels Job, ein Job, auf den sie ihre Aufmerksamkeit mehr als
hundertprozentig konzentrieren musste.
    »Wer ist da?«, dröhnte eine Stimme von der anderen
Seite der Zwischenwand.
    »Unterhändlerin der Polizei. Sie wollten mit jemandem
reden?«
    »Worauf warten Sie dann noch? Sie sind hoffentlich nicht
bewaffnet! Kommen Sie rein, hören Sie mir zu! Haben Sie Kameras
mitgebracht?«
    Oh, oh. »Schwanz hat Recht gehabt«, murmelte sie
in ihren Audio-Monitor. »Sind Sie jetzt startklar?«
    »Ja, wir sind bei Ihnen.« MacDougals Stimme, die in
Rachels linkes Ohr drang, klang blechern und heiser vor
Anspannung.
    Rachel packte den Türgriff und drückte die Tür
langsam auf. Die Polizisten des Privatunternehmens hatten einen
Notfall geltend gemacht, damit das automatische Sicherungssystem
für die Türen außer Kraft gesetzt wurde, und die
Hausverwaltung hatte es ausgeschaltet. Die Tür ließ sich
mühelos öffnen. Vom Eingang aus hatte Rachel eine
ungehinderte Einsicht ins Wohnzimmer.
    »Darf ich hereinkommen?«, fragte sie, ohne auf
irgendeine Weise zu verraten, dass ihr das Schwirren von
Insektenflügeln aufgefallen war. Die Drohnen waren von ihren
Schultern aufgeflogen, als die Tür weit aufschwang.
    Die Wohnung bestand nur aus einem einzigen Raum. Bett, Duschkabine
und Küchenzeile waren so konstruiert, dass sie sich aus
gegenüberliegenden Wänden herausklappen ließen. Das
große Vorderfenster gegenüber der Eingangstür zeigte
die ewig gleiche Ansicht des Jupiter-Mondes aus der Perspektive los,
seines gelblich schwelenden, verkrusteten Satelliten. Früher
einmal war diese Wohnung eine billige Flüchtlingsunterkunft
gewesen, gedacht für eine allein stehende erwachsene Person,
aber spätere Bewohner hatten sich dort regelrecht eingenistet
und Ausstattung und Mobiliar verkommen lassen. Die Aufhängungen
der ausklappbaren Einrichtungsgegenstände waren ausgeleiert und
die Stützverstrebungen verbogen, sodass sie nicht mehr zu
benutzen waren. Die Überbleibsel von hundert Fertiggerichten
hatten sich auf dem zerschlissenen Teppich verteilt. Es roch
widerlich süß nach verschimmelnden Lebensmitteln,
allerdings wurde dieser Geruch von dem nach billigem Tabak fast
überlagert. Der Raum stank geradezu nach Zigarettenrauch –
nach einer üblen, giftigen Sorte, soweit Rachel es beurteilen
konnte. Sie hatte das Rauchen schon vor vielen Jahren aufgegeben, zum
selben Zeitpunkt wie ihr drittes Paar von Lungenflügeln.
    Angesichts des Mannes, der sich mitten im Zimmer im Lehnstuhl
ausgestreckt hatte, wirkte selbst das Chaos ringsum noch
einigermaßen gepflegt. Er war fast zwei Meter groß und
hatte einen Körper wie ein Panzer, aber er war eindeutig krank.
Sein Kopfhaar war an einigen Stellen schon weiß, und in

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