Supernova
Jahrhundert ein von
einer technologisch hoch entwickelten Zivilisation geplagter Planet,
auf dem eine neu entstandene künstliche Intelligenz verheerende
Spuren hinterlassen hatte. Fast zehn Prozent der Erdoberfläche
waren irgendwann zubetoniert worden. Von Rissen durchzogene Wiesen
und Weiden zeugten von nicht vollendeten Versuchen, die
ursprüngliche Landschaft wiederherzustellen. Von den Dschungeln
der Sahara bis zum empfindlichen Weideland des Amazonasbeckens war es
schwer, irgendeinen Teil der Erdoberfläche auszumachen, der von
der Technologie nicht angetastet worden war.
Die menschliche Zivilisation, ursprünglich auf einen einzigen
Planeten – die Erde – beschränkt, hatte sich im ganzen
Sonnensystem verbreitet. Gasriesen in den äußeren
Sphären entwickelten seltsame neue Ringe, die industrialisiert
waren, während die Höhen des Kilimandscharo und
Zentralpanamas Fäden aus Diamantdraht in die geosynchrone
Umlaufbahn ausschwitzten. Früher hatte man den Planeten die
Erde genannt; inzwischen war es die Alte Erde, Geburtsstätte der Menschheit und Wiege der Zivilisation.
Doch diese alte Heimat besaß im 24. Jahrhundert eine seltsame
Dynamik und ein merkwürdig jugendliches Äußeres, und
die Menschen, die hier lebten, bildeten keineswegs die älteste
menschliche Zivilisation. Bei weitem nicht.
Die meisten Leute machten das Eschaton für dieses Paradox
verantwortlich. Das Eschaton, hervorgegangen aus einer
technologischen Singularität, war eine den Menschen haushoch
überlegene künstliche Intelligenz, die sich Ende des 21.
Jahrhunderts durch die Netzwerke der Quantencomputer ausgebreitet
hatte.
Dem Eschaton gefiel es ganz und gar nicht, den Planeten mit zehn
Milliarden Primaten zu teilen, die unter einem Zukunftsschock litten.
Als es sich aus eigener Kraft zu einer beinahe gottähnlichen
Intelligenz entwickelt hatte, deportierte es die meisten Menschen zu
anderen Planeten. Das geschah durch Wurmlöcher, deren Entstehung
und Funktionsweise sich die menschlichen Wissenschaftler selbst
Jahrhunderte später noch nicht erklären konnten. Nicht,
dass ihnen unmittelbar nach der Katastrophe viel Zeit geblieben
wäre, die Methoden des Eschaton zu analysieren. Die meisten
Menschen waren viel zu sehr mit dem Versuch beschäftigt, die
Härten des durch die Entvölkerung bewirkten
wirtschaftlichen Zusammenbruchs zu überstehen. Erst gut hundert
Jahre später stießen die ersten mit
Überlichtgeschwindigkeit fliegenden Raumschiffe der Erde zu den
am nächsten gelegenen Sternen vor und entdeckten dort die
verrücktesten Aspekte des Umsiedlungsprozesses: Die Löcher,
die das Eschaton im Raum geöffnet hatte, führten in der
Zeit zurück. Jedes Lichtjahr weiterer Expansion ins All
bedeutete ein Jahr zurück in die Vergangenheit. Und manche der
Tunnel, die diese Wurmlöcher darstellten, reichten
tatsächlich über sehr weite Entfernungen. Vom ersten
Augenblick der Singularität an begannen die SETI-Empfänger,
starke Signale aufzufangen; die bis dahin stummen Regionen des Alls
hallten vom Schwatzen und Summen menschlicher Stimmen wider.
Dreihundert Jahre nach dem einschneidenden Ereignis hatten sich
die Gemeinwesen der Erde weitgehend erholt. Die Reste von
Bündnissen und die zähen kleinen Wirtschaftssysteme, die
nach dem Zusammenbruch des globalen Freihandels im 21. Jahrhundert
übrig geblieben waren, brachten ein neues, dezentrales Netzwerk
hervor, das durchaus in der Lage war, eine moderne Volkswirtschaft zu
stützen. Durch dieses Netzwerk gelang es sogar, die schwierigen
Rekultivierungsmaßnahmen einzuleiten. Einige Industriezweige
blühten auf. Es dauerte nicht lange, bis sich die Erde einen
guten Ruf als größtes offenes Handelszentrum innerhalb von
hundert Lichtjahren erwarb. Die Vereinten Nationen –
mittlerweile eine noch ausgeprägtere (ohrenbetäubende)
Schwatzbude als ihr historischer Vorläufer – schloss auch
nicht ethnisch definierte Personengruppen mit ein. Nachdem sie bei
der Neugründung so konzipiert worden war, profitabel zu
arbeiten, entwickelte die Organisation aufgrund ihrer
Handelsdiplomatie eine herausragende Reputation. Selbst das
dringlichste Problem des 22. Jahrhunderts, der
Bevölkerungsschwund als Folge der Singularität, war
größtenteils gelöst. Kostengünstige
Anti-Aging-Behandlungen und eine fortschrittliche
Einwanderungspolitik hatten dafür gesorgt, dass die
Weltpopulation fast wieder den Stand von Mitte des 20. Jahrhunderts
erreicht hatte, was der Planet gut verkraften
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