Supernova
Vielleicht waren es Studentinnen und
Studenten, die die große Tour gebucht hatten. Oder ein
Arbeitstrupp, den es hierher verschlagen hatte, weil eine
unvorhergesehene Entwicklung auf dem Arbeitsmarkt plötzlich neue
Stellen eröffnete. Manchmal war es billiger, die Arbeiter
dorthin zu bringen, wo Arbeit wartete, als umgekehrt, wie Frank aus
eigener Erfahrung wusste. Als er noch jung gewesen war und kaum
Durchblick gehabt hatte, war er selbst auf solche Gelegenheitsjobs
angewiesen gewesen.
Er schnaubte und fläzte sich auf einen Barhocker. »Ich
möchte einen Wray & Nephew auf Eis, pur«, grunzte er
der Kellnerin zu. Die nickte nur, da sie merkte, dass Frank nicht auf
eine Unterhaltung aus war, und wandte sich ihrer Arbeit zu.
»Gute Reise bis jetzt, wie, Mister Soundso?«,
flötete eine Stimme irgendwo links von Franks Schulter.
Frank blickte sich um. »Für manche sicher«,
erwiderte er und verkniff sich die Bemerkung, die ihm auf der Zunge
gelegen hatte. Man konnte nie wissen, auf wen man um vier Uhr
früh in einer Bar stieß. Das hatte auch ein
Regierungsbürokrat in gehobener Position erfahren müssen,
als die Times ihn an einem solchen Ort aufgestöbert,
fotografiert und damit desavouiert hatte. Frank hatte nicht die
Absicht, irgendetwas von sich preiszugeben, nicht einmal einem
offensichtlichen Schwachkopf gegenüber. Was dieser
Schwätzer aus dem Hinterhalt eindeutig war, von den
Stiefelspitzen (eine war rot, die andere grün) bis zur
Zipfelmütze aus Plüsch (stahlblau und mit holografischen
Sternen übersät). Trotz der seelenvollen,
tiefgründigen braunen Augen und des roten Schnurrbarts wirkte er
so, als wäre er aus einem Umerziehungslager geflohen –
einem Umerziehungslager für Menschen, die sich an Mode und gutem
Geschmack vergangen haben.
»Verzeihen Sie mir die Bemerkung, aber ich bin nicht wegen
eines therapeutischen Gruppengesprächs hier«, polterte
Frank los. Die Bedienung setzte seiner Bemerkung noch eins drauf,
indem sie schwungvoll ein Kristallglas auf dem Teakholz der Theke
abstellte. Frank griff nach seinem »Kurzen« und schnupperte
an der farblosen Flüssigkeit.
»Ist schon in Ordnung. Bin ja auch nicht gekommen,
weil’s hier so lustig zugeht.« Der bunt gekleidete kleine
Scheißer nickte übertrieben, um Verständnis zu
signalisieren, und schnippte mit den Fingern, um die Aufmerksamkeit
der Kellnerin auf sich zu ziehen. »Ich möchte das
bestellen, was er hat– egal, was.«
Frank unterdrückte ein Seufzen und blickte zu der
schnatternden Schar von Jugendlichen hinüber. Sie wirkten
deprimierend angepasst: geschniegelt und gebügelt, brutal sauber
und ordentlich bis zu den Spitzen ihres kurz geschorenen Haars.
Keiner in dieser Gruppe wies irgendwelche Piercings, auffällige
Hautflecken, längere Zotteln oder sonstige Besonderheiten auf.
Irgendetwas an diesem Anblick rief ihm ein beunruhigendes Gefühl
ins Gedächtnis; aber in den mehr als dreißig Jahren, die
er in den besiedelten Welten herumgereist war, hatte er so vieles
gesehen und erlebt, dass er sein Déjà-vu nicht richtig
einordnen konnte. Diese Rotbäckchen wirkten verdächtig
gesund – gesund auf eine Weise, die auf einen häufigen
Aufenthalt im Freien hindeutete. Wahrscheinlich Studenten aus
Dresden, Kinder eines Systems, in dem die Führungspositionen von
einer Generation auf die nächste vererbt wurden. Unterwegs auf
ihrem vom Staat bezahlten Wanderjahr, dem Jahr zwischen
Hochschulabschluss und Eintritt in den Regierungsdienst. Alle trugen
lockere braune Hosen und graue Pullover, so identisch geschnitten,
als wären es Uniformen. Vielleicht stammten sie aber auch nur
aus einer Welt, in der Modesüchtige geteert und gefedert wurden.
Die Kleidung wies gerade noch so viele Unterschiede auf, dass man
annehmen durfte, sie hätten sich bewusst ähnlich angezogen,
nicht etwa aufgrund von äußerem Druck. Er wandte den Blick
wieder dem Kerl in den Technicolor-Klamotten zu. »Starkes Zeug,
kommt direkt vom Fass«, warnte er ihn und wusste dabei selbst
nicht, warum er überhaupt so viel preisgab.
»Ist okay.« Der Kleine schnüffelte kurz an seinem
Getränk und leerte mit einem Schluck das halbe Glas. »Hui!
He, ich bestell mir noch einen. Wie heißt das Zeug doch
gleich?«
»Wray & Nephew«, erwiderte Frank müde.
»Ist ein alter und schrecklich teurer Rum, Direktimport von der
Alten Erde. Morgen früh wird’s Ihnen Leid tun.
Äh… morgen Abend. Oder dann, wenn Sie die Rechnung
bekommen.«
»Na und?« Die wandelnde
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