Supernova
sie gedeutet hatte, und nickte müde.
»Tja, das färbt ab.«
»Ha.« Es klang wie ein wütendes Räuspern.
»Wie steht’s mit der Kompabilität der Neuen Republik?
Was sagen die neuesten Analysen?«
»Sieht besser aus als vor einem Jahr, besser, als
irgendjemand zu hoffen gewagt hat. Aber sie sind noch lange nicht
reif für eine Integration. Reaktionäre Spinner, wenn Sie
mich fragen. Allerdings bin ich nicht deswegen hier. Ähm…
Darf ich fragen, ob Sie gerade sehr beschäftigt sind?«
Die Frau hinter dem Schreibtisch musterte ihn mit leicht geneigtem
Kopf. »Ich kann Ihnen jetzt eine halbe Stunde
einräumen«, erwiderte sie bedächtig. »Falls es
dringend ist.«
Bayreuths Wangen zuckten. Der drahtige, braunhaarige Mann, dessen
Haut gegerbtem Leder ähnelte, trug blaugraue, nahtlose
Drillichhosen, aber der Kampfanzug war nicht aktiviert: Die
Tarnfarben und Stoßdämpfer waren nicht in Funktion. Er sah
so aus, als habe er gerade einen Polizeieinsatz hinter sich und
unterwegs nur kurz Halt gemacht, um den Körperpanzer und
sonstige Ausrüstungen abzulegen. »Dringend ist es
schon.« Er blickte auf die offenen Flügeltüren.
»Sind wir hier abhörsicher?«
Sie nickte. »Niemand, der uns belauscht, würde
irgendetwas verstehen«, erwiderte sie ohne ein Lächeln. Ihm
lief ein leichter Schauer über den Rücken. In einer
Gesellschaft mit allgegenwärtigem Überwachungsapparat hatte
eine derart schamlose Verteidigung der Privatsphäre eindeutig
gewisse Implikationen.
»Also gut. Es geht um den Bericht des Umweltdienstes, die
Säuberung von Moskau betreffend.«
»Die Säuberung.« Sie knirschte mit den Zähnen.
»Um was geht es diesmal?«
»Arbeiter Neurath hat vorschriftsgemäß gemeldet,
dass er auffällige Unregelmäßigkeiten in den
Unterlagen der Einwanderungsbehörde festgestellt hat, die das
Räumungskommando nach Vollendung der Säuberung beim Abflug
zurückgelassen hat. In den drei Jahren vor der Katastrophe und
den fünf Jahren danach haben gewisse Leute, die unter Leitung
von U. Vannevar Scott in der Gruppe Umweltoperationen arbeiten,
mindestens bei drei Gelegenheiten versäumt, sich praktisch an
die Richtlinien zum unauffälligen Rückzug aus
nicht-zivilisierten Territorien zu halten. Für sich
genommen, hätte ich Ihnen das nicht unbedingt zur Kenntnis
bringen müssen, gnädige Frau. Schließlich wurden die
Schuldigen ja aus dem Verkehr gezogen und der Wiederverwertung
zugeführt und ihre Fehler in die Sammlung von Lehrbeispielen
aufgenommen.« Er räusperte sich. »Aber…«
Als die Frau ihn anstarrte und ihre Miene sich lockerte, reagierte
Bayreuth seinerseits mit Anspannung. Wenn U. Portia Hoechst am
entspanntesten wirkte, war sie am gefährlichsten – wenn
nicht für ihn, dann für einen anderen, sofern sie ihn als
Feind der Mission betrachtete, als Hindernis auf dem Weg zum Erfolg.
Sie mochte dreißig Jahre alt sein oder auch neunzig; bei den
Übermenschen war das schwer zu sagen, bis der Zeitpunkt gekommen
war, an dem das Genom plötzlich versagte und ihr langes Leben
auf abrupte, aber friedliche Weise endete. Aber wenn er auf ihr Alter
hätte wetten sollen, hätte Bayreuth eher auf das obere Ende
der Skala gesetzt. Es waren Augen voll inneren Friedens, die ihn
musterten, gelassene Augen, Augen, die allzu viel Schreckliches
gesehen hatten, um angesichts eines Todesurteils Nervosität zu
verraten oder auch nur zu zucken.
»Fahren Sie fort«, sagte sie mit neutraler Stimme.
»Neurath hat es übernommen, das Material, das U. Scotts
Gruppe dort vorgefunden hat, genauer zu überprüfen. Dabei
ist er auf weitere Merkwürdigkeiten gestoßen und hat mich
darüber unterrichtet. Nachdem ich seine Beobachtungen
bestätigen konnte, wurde mir klar, dass die Sache an
höherer Stelle behandelt werden muss. Abgesehen vom Niedergang
der Disziplin im Einsatztrupp Moskau weist einiges darauf hin, dass
Scott, äh, gewisse Leichen im Keller hatte. Und die hat er nicht
nur vor uns verborgen, sondern anschließend auch verschwinden
lassen, wenn Sie mir folgen können.«
»Selbstverständlich haben Sie Beweise
dafür.«
»Allerdings.« Bayreuth unterdrückte den Drang, mit
den Füßen zu scharren. Hoechst machte ihn nervös. Sie
war zwar bei weitem nicht die übelste Chefin, für die er je
gearbeitet hatte – eher traf das Gegenteil zu –, aber er
hatte sie noch nie lächeln gesehen und hatte das
schreckliche Gefühl, es werde bald so weit sein. Und der
Gedanke, was das beinhalten konnte, machte ihm zunehmend
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