Supernova
im Zwielicht
des Mannschaftsdecks.
Svengali zog die Tür hinter ihr zu und schüttelte den
Kopf. »Und ich hatte schon auf einen flotten Dreier
gehofft.« Nachdem er Frank großzügig nachgeschenkt
hatte, stellte er die Flasche, die sich in Windeseile geleert hatte,
wieder ab. »Also haben die Soldaten die Demonstranten
niedergemetzelt. Und was hat das mit diesen Leuten zu tun, wer sie
auch sein mögen?«
»Sie…« Frank spürte Gallenflüssigkeit im
Mund und schluckte sie hinunter. »Erinnern Sie sich noch an die
Frau vom Geheimdienst? Nach dem Massaker kam sie zurück, mit
Soldaten. Und mit Thelmas Kamera. Sie ließ Thelma den Platz
aufnehmen. Danach hielten ihr die Wachen eine Pistole an den Kopf und
zwangen sie, sich hinzusetzen, während die Frau vom Geheimdienst
mir meinen Text diktierte. Den ich unterzeichnete und unter meinem
Namen abschickte.«
»Sie…« Svengalis Augen verengten sich zu Schlitzen.
»Widerspricht das nicht der journalistischen Ethik?«
»Ja. Genau wie es der Ethik widerspricht, Geiseln mit der
Exekution zu drohen. Was hätten Sie in meiner Lage
getan?«
»Hm.« Der Clown schenkte sich selbst nach und nahm einen
Schluck. »Also haben Sie das abgeschickt, um zu…«
»Tja, aber es hat mir nichts gebracht.« Frank verstummte
unvermittelt. Nichts würde ihn zu einer Schilderung dessen
bewegen können, was anschließend passiert war: Wie sie ihm
Handschellen angelegt und Nadeln zum Aufspüren von Interfaces in
den Arm gesteckt hatten, um seine Implantate unbrauchbar zu machen.
Wie sie ihn auf den Bauch gedreht hatten und er krampfartig gezittert
hatte, weil er nicht hatte wegsehen, nicht einmal die Augen hatte
schließen können. Vor seinen Augen hatten sie Phibul einen
Bauchschuss verpasst und liegen lassen, damit er verblutete. Er hatte
auch zusehen müssen, wie zwei Soldaten Thelma vergewaltigt
hatten, ihre Schreie erstickt und ihr danach mit den Bajonetten die
Brüste abgeschnitten hatten. Von allen drei
Kriegskorrespondenten hatte nur Frank überlebt, denn er war der
Einzige, der von seiner Agentur voll versichert worden war und
Lösegeld versprach.
Aber es war der Anfang eines Tag und Nacht währenden
Albtraums gewesen, der Anfang seiner Reise durch die Kloaken der neu
eingerichteten Konzentrationslager, die erst neun Monate später
enden sollte. Nach neun Monaten waren die Mistkerle zu dem Schluss
gekommen, dass es nicht mehr nötig war, ihm den Mund zu stopfen.
Das Lösegeld, das seine Versicherung für ihn zu zahlen
bereit war, würde ihnen mehr einbringen als sein Tod aufgrund
der verzehrenden Zwangsarbeit. »Ich glaube, die dachten, ich
hätte mit ihr geschlafen«, bemerkte er zusammenhanglos.
»Also sind Sie davongekommen? Man hat Sie frei
gelassen?«
»Nein, ich bin in den Lagern gelandet. Am Anfang war denen
nicht klar – ich meine den Teil der Bevölkerung, der die
Ordnungskräfte unterstützte –, dass diese Lager
für alle gedacht waren, nicht nur für die widerspenstigen
Arbeitslosen und die Agitatoren, die für ein Recht auf das
eigene Land eintraten. Aber früher oder später ist jeder
dort gelandet – jeder bis auf den Sicherheitsapparat und die
auswärtigen Söldner, die die provisorische Regierung
anheuerte, um die Maschine am Laufen zu halten. Und diese
Söldner waren alle geschniegelt und gebügelt, humorlos,
effizient und schnell – genau wie die Leute in der Bar. Genau wie die. Und ich sollte wohl auch noch die Halsbänder
erwähnen.«
»Halsbänder?«, fragte Svengali mit
zusammengekniffenen Augen. »Wollen Sie mich
verarschen?«
»Nein.« Frank lief ein Schauer über den
Rücken, deshalb nahm er noch einen Schluck Whisky. »Wenn
man so ein Ding abzuziehen versucht oder irgendwo hingehen will, wo
man nicht hindarf, oder auch nur einen Wächter schief ansieht,
dann schneidet es einem den Kopf ab.« Unbewusst rieb er sich
über die Kehle. Und dann war da auch noch der Lagerkommandeur
Voss… aber das lassen wir lieber. »Auf dem Platz haben
die damals dreitausend Menschen umgebracht, wussten Sie das? Doch
weitere zwei Millionen haben sie im Lauf der folgenden drei Jahre in
diesen Lagern ermordet. Und die Arschlöcher sind damit
durchgekommen. Weil jeder, der darüber Bescheid weiß, eine
Scheißangst hat, viel zu große Angst, um irgendetwas zu
unternehmen. Und es ist ja auch alles vor langer Zeit und weit weg
passiert. Das Erste, was sie getan haben, bestand darin, alle
Kausalkanäle ausfindig zu machen und die Kontrolle über
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