Suppenmord: Kommissar Hölderling kocht (German Edition)
passieren, hatte er sich eingestehen müssen. Die kleinen Fluchten, die er sich mit Zabel im Club der kleinen Lichter erlaubte, waren Kinderkram gegen das, was ab und zu in seinem Kopf herumspukte. Ein schwacher Moment, ein unbedachtes Wort, und aus ihm könnte ebenso ein Monster hervorschnellen, den Hals von Annelies oder den von Struck packen und zudrücken. Da würde eine Bestie wach, wie es einmal ein von ihm überführter Täter formuliert hatte, eine Bestie, die alle Knöpfe drückt. Da sei nichts mehr, hatte der Mann gesagt, nichts mehr als das weiße Rauschen im Kopf, das alles andere ausblendet. Und wenn man irgendwann wieder man selbst sei, dann hätte man viel zu bereuen. Bezeichnenderweise hatte der Mann nicht seine untreue Frau umgebracht, sondern den Wagen seines Nebenbuhlers mittels eines Vorschlaghammers zu Kleinholz gemacht. Leider hatte der Besitzer des Wagens hinter dem Lenkrad gesessen und war durch den Vorschlaghammer mehr oder weniger zufällig zu Tode gekommen. Hölderling hatte den Täter gefragt, ob er sich danach besser gefühlt habe, aber der hatte geantwortet: «Kann ich nicht sagen – ich war irgendwie gar nicht dabei, sonst hätte ich das Arschloch hinterm Steuer doch gesehen und mit Freude noch mal zugeschlagen.»
«Vielleicht haben Sie ihn ja gesehen? Und deswegen zugeschlagen», hatte Hölderling eingewandt.
«Kann sein, kann nicht sein. Und irgendwie ist das doch unfair, ich meine, dass ich das vorhatte mit dem Auto, war ja klar, sonst wäre ich nicht mit dem Hammer durch die halbe Stadt gefahren, aber jetzt habe ich keine richtige Erinnerung daran. Jedenfalls keine, über die ich mich die nächsten Jahre freuen kann.»
Wenn Hölderling jemals einen guten Rat bekommen hatte, dann wohl diesen. Im Dachgeschoss warf er einen Blick in Sonjas Zimmer und schreckte zurück. Wenn jemand mal ein heilloses Durcheinander braucht, dann ist es hier zu holen. So adrett und aufgeräumt, wie sie in offizieller Funktion über die Flure des Hotels huschte, so chaotisch schien ihr Innenleben zu sein. Jedenfalls sagte Sophie Wackernagel immer so etwas, wenn sie Hölderlings Auto sah. «Das da, im Fußraum, und diese Müllhalde da auf dem Rücksitz, das , Herr Hölderling, ist Ihr wahres Selbst. Darüber sollten Sie mal nachdenken. Und über die schreckliche Musik, die Sie immer hören, möchte ich lieber gar nicht reden. Darüber sollten Sie mit einem Therapeuten sprechen, wenn Sie mich fragen.»
Aber er fragte sie ja nie, die kluge Sophie, er ging lieber in seine Küche. Wenn er mal keinen Appetit hatte, was selten vorkam, dann sortierte er seine Gewürze. Die Müllhalde in seinem Auto würde das tun, was alle Müllhalden auf der Welt seit Jahren taten, und zwar von selbst: irgendwann kompostieren. Und das war ja auch irgendwie eine Heilung. Der Müll der letzten Jahre würde kompostieren, und mit viel Glück könnte Hölderling eines Tages ein neues Pflänzchen, das aus seinem Inneren spross, damit düngen. Er schob den Gedanken schnell beiseite, denn es klang ihm zu sehr nach «Krankheit als Chance».
Bei der oberflächlichen Untersuchung von Sonjas Zimmer fand er eine Mappe mit Fotokopien von Bewerbungsschreiben. Die junge Frau hatte sich in den letzten Monaten in mehreren großen Hotels beworben. Sehr weit weg von Bad Marienberg. Bislang ohne Erfolg, wie er aus den gesammelten Absagen ersehen konnte. Was kein Wunder war, sie hatte sich großspurig als Bankettchefin angedient. Er fragte sich, wo sie die Originale ihrer Zeugnisse aufbewahrte. Hatte Sonja überhaupt jemals eine Lehre gemacht oder eine Hotelfachschule besucht? Schließlich öffnete er noch die Schublade des kleinen Schreibtisches. Dort lag ein Umschlag, feinstes Büttenpapier. Er betrachtete die Briefmarke – Dubai. Dann drehte er den Umschlag um: Kempinski, Dubai. Der Umschlag war offen, und er holte den Briefbogen heraus. Die kleine Sonja hatte einen Job. Hölderling schüttelte den Kopf, nun ja, die würden dann schon sehen, wen sie eingestellt hatten, wenn Sonja erst mal da war. Insgeheim bewunderte er die Chuzpe der jungen Frau. Ob Marielle sie wohl unterstützt hatte? Oder war das alles Sonjas eigene Idee gewesen? Jedenfalls war wohl doch nicht alles so toll im Hause Faust, dachte Hölderling, sonst würde sie ja nicht wegwollen. Oder machte man das heute so? Solange man jung war, zog man durch die halbe Welt und machte seine Jobs. Sonjas Zwischenzeugnis, das er nach weiterem Suchen im Schreibtisch fand, ausgestellt von
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