Surf
erste von den Erntearbeitern abgeerntete Rosenkohlfeld davon. Beim Überqueren der leeren, stillen Straße überkam mich jener innere Friede, den ein menschenleerer Highway manchmal ausstrahlt, sodass man am liebsten rechts ranfahren und dösen oder sich strecken möchte. Da aber in der Nähe ein junger Farmaufseher ohne Daumen in seinem Pick-up saß und Zeitung las, ging ich weiter; vorbei an zwei Farmarbeitern, die mit gekrümmten Rücken über den Furchen standen, aus Eimern irgendetwas verspritzten, schwarz wie Scherenschnitte vor dem flachen, grauen Himmel. Auf den anderen Feldern standen noch die ausgewachsenen, salbeigrünen, vom feuchten Dunst glänzenden Kohlköpfchen. Entlang des Wegs waren Warnschilder («Peligro/Poison») mit Totenköpfen und gekreuzten Knochen aufgestellt, die darauf hinwiesen, dass in der Nacht zuvor Pestizide versprüht worden waren. Offenbar bestimmt der Jahresverbrauch des US-Durchschnittsbürgers die zulässigen Höchstwerte, und da der ungefähr einen Rosenkohl pro Jahr isst, glaubte man anscheinend, die Felder mit Chemikalien durchtränken zu dürfen. Seit ihrem teerigklebrigen Tod vor ein paar Wochen waren alle Hemlocktannen zu einem Wald gebrochener Stängel verdorrt, in dem Spatzen umherflitzten; ein weiterer herbstlicher Tod auf dem Tiefpunkt des jährlichen Wachstumszyklus der Natur. Leise rollte die Flutbrandung unter dem geräuschdämpfenden Nebel. Draußen am Point, auf einem vorgelagerten Felsen, hatte eine Seehundfamilie Quartier bezogen. Während ich mich im Zwielicht umkleidete, zogen Wolkenfetzen durch die Zypressen und regneten Tröpfchen auf Gras und Sand. Irgendjemand hatte eine Coladose und verschmutzte Unterwäsche in der Gegend herumliegen lassen, und einer der Seehunde gab ein furchtbar misslauniges Gewinsel von sich. Es war die Art von nächtlichem Gebrüll, die jedem Seemann einen guten Grund für seinen Aberglauben liefert. Irgendwie kam ich mir wie ein Eindringling vor, als belauschte ich streitende Nachbarn. Nachdem ich meinen Kräutertee ausgetrunken hatte, paddelte ich allein hinaus und beobachtete die aufgeworfenen Wellen, die von Süden her hereinrollten. Sie stammten von einem der letzten Winterstürme im Südpazifik und waren ein weiterer Nachklang des Sommers; der Winkel, in dem sie heranrollten, spiegelte die Neigung der Erdachse wieder. Die erste Welle, die ich bekam, war dicht und gläsern, ich stieg und fiel mit jedem Wellental. Der Himmel verblasste langsam zu einem Graublau, als der Nebel aufriss, und da kam noch ein anderer Surfer zu mir ins Wasser. Es war der ältere der beiden Freunde, derjenige, der immer so viele Wellen erwischte. Das morgendliche Erscheinen vor einer solch felsigen, abgelegenen Küste setzte eine völlig andere Motivation voraus, als sich nur in der Sonne räkeln zu wollen. Eine Woche zuvor hatten wir ein lakonisches Gespräch im Surferjargon geführt, das rasch zu Ende war, als ein paar andere Surfer herausgepaddelt kamen. Ich fragte mich immer noch, wie er seinen Lebensunterhalt bestritt: Irgendwie reichte «Surfer» als Berufsbezeichnung nicht aus. War er Geschäftsmann? Unabhängig und reich? Zunächst war er ziemlich distanziert gewesen, als wir uns obligatorisch ernst zunickten. Dann saßen wir nebeneinander und blickten schweigend aufs Meer, obwohl niemand sonst da war. Man macht das oft beim Surfen, es gibt dem anderen die Möglichkeit, seinen Gedanken nachzuhängen. Nur wenige Surfer legen den weiten Weg zurück, weil sie Gesellschaft suchen. Als ich dann doch ein Gespräch anfing, antwortete er mir in knappen Sätzen.
«Ganz schöne Wellen, was?», sagte ich, die übliche Phrase, ein Gespräch zu beginnen.
«Das Wasser geht zu weit zurück.»
«Wann ist Tiefstand?»
«Ungefähr jetzt.» Und damit drehte er sich um und paddelte eine Welle an. Nur dieser Mann und ein paar andere Surfer kamen täglich hierher zum Point, wie ich festgestellt hatte. Er war der bei weitem Engagierteste, war jedes Mal da, wenn ich kam, und fühlte sich hier offenbar zu Hause. Nach einer kleinen, aber sanften Welle, einigen leichten Turns und weichen Schrägfahrten vom Brechungsrand paddelten wir gemeinsam wieder hinaus.
«Also», sagte ich, um ihm eine Antwort zu entlocken, «Raus mit der Sprache. Aktien? Arbeitslos?» Viele Leute waren freigestellt, seit es mit der Wirtschaft bergab ging und die Lage insgesamt schlechter wurde. Viele Männer mittleren Alters surften häufiger als sonst.
«Vince Collins», stellte er sich vor,
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