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Surf

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Titel: Surf Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Daniel Duane
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wusstest, sie können sie sprechen. Wir warteten auf eine lange Flaute, da es eine Katastrophe wäre, von einer dieser Wellengruppen erfasst zu werden. Als es so weit war, sprangen wir und erreichten trockenen Haupts die äußerste Spitze. Die Wellen waren ungefähr dreimal so hoch wie ich, aber das Wasser war so weich und die Wellen so rein, dass man mit gleichmäßigen Stößen vorankam, weitergleiten, aufstehen und schreiend die lange Fläche hinabsausen konnte. Wenn man zum Fuß der Welle kam, musste man die Kante des Boards schräg ins Wasser neigen und alle Energie dazu nutzen, die Wellenwand wieder hochzukommen und in langen, offenen Bogen kreuz und quer über die Bucht zu surfen. Die Dünung baute sich den ganzen Nachmittag über auf, und es kam zu keiner Fortsetzung unseres Gesprächs: Zu selten trafen wir an derselben Stelle zusammen, viel zu vieles, an das zu denken war, nichts, worüber man sich hätte beklagen und austauschen wollen. Die langsam untergehende Sonne verwandelte die Welt nach und nach in einen gläsernen Planeten aus hochrotem Dunst, und die einsetzende Ebbe verschob den Ausgangspunkt immer weiter hinaus aufs Meer: Von hinten bildeten die Wellenrücken, die auf die Küste zurollten, meilenlange Wände aus lichtdurchlässigem Kristall. Als die größeren Wellengruppen einsetzten, erschienen sie zunächst als dunkle Unregelmäßigkeiten in der Ferne. Vince wusste genau, wo sie sich brechen würden, und hielt ihnen jedes Mal stand; widerstand der Versuchung, den hereinkommenden Wellen entgegenzupaddeln und somit hinein in die Sicherheit, die hinter ihnen lag. Als es schon fast dunkel war, sah ich, wie Vince die Vorderseite einer Welle hinabglitt, die ihn winzig klein erscheinen ließ, und ich brauchte lange, um über sie hinauszugelangen. Konzentriert, wie er war, winkte er mir nicht zu, aber er grinste im Vorüberfliegen. Als ich selbst meine letzte Welle gesurft hatte, fühlte es sich an, als stiege ich mühelos aus einem Zug bei hoher Geschwindigkeit, und ich ging als Letzter an Land, gerade als die Sonne unterging. Auf dem Grasstreifen erzählte Willie Vince, er müsse dringend nach Hause, da er zwei Heilbuttsteaks im Kühlschrank liegen habe, die er zubereiten wolle, ehe Pascale von der Arbeit heimkam. Ehe ich mich umzog, saß ich eine Weile da, blickte über meine Lieblingsbucht und empfand etwas, was man im Leben nur selten empfindet, das Gefühl, dass ich präsent und vorbereitet war für einen Moment der … – was war gleich das Wort? Überfülle?»
    «Die Wunde», dachte Willie gerade laut, splitternackt in der Dunkelheit neben seinem am Boden liegenden Brett.
    «Glaubst du, deshalb wird dir dein Board zum Fetisch, Vince? Kastrationsängste?»
    Vince sah kurz auf, deutete dann hinaus aufs Meer, wo sich die größte Welle, die wir bislang gesehen hatten, aufbaute und eine Schaumkrone ansetzte. Vince murmelte etwas, was ich nicht verstand, sah weiter der golden vibrierenden Welle über dem Riff zu. Hinter den schwarzen Wolken bog sich die Sonnenscheibe über den Horizont zurück und hinterließ einen orangefarbenen, geisterhaften Schimmer als unbestimmtes Vorzeichen eines heraufziehenden Sturms.
     
    Ich war einmal mit einem Freund in einem fast verwaisten Hotel in einem Hochhaus in Wichita, Kansas, in dem es einen heruntergekommenen Tiki-Saal voller Topfpalmen und strohbedachter Bars aus Bambus gab. Als wir nach dem Abendessen durch dunkle, menschenleere Straßen zum Hotel zurückgingen, kamen wir an einem verlassenen Parkplatz vorbei; dort hörten wir das vertraute Klick-Klack schleifender Skateboardhecks und schreddernder Rollen auf dem Beton. Ich verbrachte eine fürchterliche, schlaflose Nacht; unser Zimmer auf dem einzigen belegten Stockwerk pulsierte blutrot im blinkenden Neonlicht der Uhr eines benachbarten Bürogebäudes, einem fast halluzinogenen Leuchtfeuer der Moderne inmitten all der Leere der Hochebene. Am nächsten Morgen spazierte ich hinüber zum Kongresszentrum, um mir die Zeit zu vertreiben, und stieß auf eine Autoaussteilung, die ausschließlich dem VW-Käfer gewidmet war. Dort in Wichitas sterbender Innenstadt – ein Relikt aus seinen Tagen als mächtiges Zentrum der Rinderzucht –, auf diesem Ausstellungsgeschoss tausend Meilen von der Küste entfernt, lag ein gebrauchtes, doppelfinniges Shortboard von 1970 auf dem Rücksitz eines leuchtend gelben Cabriolets. Der Gebrauch des Bretts – sein Leben als funktionelles Instrument – war irrelevant für seinen

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