Survive
ich.
Als sich sein Schwerpunkt vom Baum weg verlagert, nutze ich meine horizontal wirkende Kraft, um ihm zu helfen, sein Gewicht den Berg hinaufzuziehen. Ich kann ihn nicht sehen, aber wann immer ich den nächsten Schritt in den frischen Pulverschnee setze, kann ich spüren, wie sich sein Gewicht den Berg hinaufbewegt.
Komm schon, Jane, denke ich. Ich stemme meine ganzen vierundfünfzig Kilo in jeden Schritt. Dann höre ich mich ein Ächzen ausstoßen, das sich in einen Schrei verwandelt, der aus Tiefen dringt, von denen ich gar nichts gewusst habe. Es ist ein Urschrei, als verkünde das Leben selbst seine Rückkehr in meinen Körper.
Zieh, Jane, zieh.
Meine Füße sausen mit unglaublicher Energie aus dem Pulverschnee, und Schritt für Schritt spüre ich, wie sich ein Gefühl der Euphorie in meinem Körper ausbreitet. Dann ist das Gewicht, das an mir zieht, plötzlich weg, und ich fliege vorwärts in den Schnee.
Ich richte mich auf, drehe mich um und wische mir Schnee aus dem Gesicht. Für eine Sekunde sehe ich nichts als Weiß. Ein Gefühl der Leere breitet sich in meinen Eingeweiden aus. Ich schaue die Felskante hinunter und dann zurück über die mich umgebende Landschaft, die flach und leer ist. Dann – wie ein Tier, das nach einer langen Nacht erwacht, die es Wärme suchend unterm Schnee verbracht hat – taucht Paul Hart in meinem Gesichtsfeld auf. Wo ist er hergekommen? Seine Brust hebt und senkt sich heftig. Sein Gesicht ist knallrot, und sein breites Grinsen sagt mir, dass alles in Ordnung ist. Ich fange an zu weinen, als ich auf ihn zugehe, ich kann es nicht zurückhalten. Noch kniet er auf dem Boden. Er schaut zu mir auf; sein Lächeln wird nur noch breiter. Er lässt sich auf den Rücken fallen und stößt ein lautes Lachen aus.
»Jane Solis«, ruft er, immer noch flach auf dem Rücken, »du ziehst wie ein Esel.«
Wie ich schon sagte: Was für ein Arsch.
Kapitel 16
Mit einiger Anstrengung nimmt Paul eine sitzende Position ein und steht dann auf. Er sieht sich um und inspiziert unsere Umgebung.
»In welche Richtung?«, fragt er, immer noch schwer atmend. »Zum Flugzeug, meine ich.«
Kein »Hallo« oder »Danke, dass du mir das Leben gerettet hast«. Nur: »In welche Richtung?« Ich schreibe es der Tatsache zu, dass er fast gestorben wäre, sowie der dünnen Luft und allem, was unter die Kategorie Typisch Mann fällt.
Ich reiche ihm ein Paar Handschuhe und eine Mütze.
»Hier.«
Er nickt und zieht seinen Kapuzenpullover zurück, um die Mütze aufzusetzen, dann streift er die Handschuhe über, sagt aber auch dafür nicht Danke. Geht’s noch?
Ich zeige auf meine Fußabdrücke, die immer undeutlicher werden, aber noch sichtbar sind.
»Zum Flugzeug geht es in diese Richtung. Folge meinen Spuren.«
»Gehen wir?« Er sieht mich an, erwartet eine Bestätigung. »Komm.«
Er dreht sich um und stapft auf die Kabine zu. Der Wind drischt mit neuer Heftigkeit auf uns ein, und die Luft ist so kalt, dass man kaum atmen kann. Paul geht voran und schützt mich mit seiner großen Gestalt ein wenig vor dem Wind, aber meine Zähne klappern trotzdem. Meine Kehle ist wund und ausgedörrt, mein Kopf schmerzt, und ich begreife zum ersten Mal, wie unglaublich durstig ich bin. Ich brauche Wasser. Ich lasse mich auf die Knie fallen, greife mir eine Handvoll Schnee und beginne ihn zu essen. Paul dreht sich um, will sehen, warum ich stehen geblieben bin, und streckt die Hand aus, um mir den Schnee aus den Fingern zu schlagen.
»Keinen Schnee essen!«, ruft er.
»Warum nicht?«
»Du sollst es einfach sein lassen«, sagt er schroff. »Es kann dich umbringen.«
Zum ersten Mal sehe ich ihn direkt an. Seine blauen Augen sind blutunterlaufen, wässrig und unnahbar. Mir wird bewusst, dass ich keine Ahnung habe, wer Paul ist. Er könnte ein Mörder oder Vergewaltiger sein oder ein Irrer. Bei dieser letzten Vorstellung muss ich kurz lachen. Vielleicht ist er verrückter als ich. Ich schaue zu Boden und versuche, keine Schwäche zu zeigen und mir meine Gefühle nicht anmerken zu lassen. Zeig einem Psychopathen gegenüber niemals Anzeichen von Schwäche; das gibt ihnen nur einen zusätzlichen Kick.
»Tut mir leid«, sage ich.
»Bleib dicht hinter mir«, befiehlt er.
Er dreht sich um und stapft gegen den Wind an, wobei er sein Gesicht mit dem Unterarm bedeckt. Der Schneefall hat ein wenig nachgelassen, aber es ist kälter geworden, und der Wind peitscht noch immer grimmig und heftig.
Die Haare und der Schnodder in
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