Survive
aus dem Imbiss-Service (um unsere Sachen trocken zu halten), zwei leere Limoflaschen aus Plastik (Paul sagt, wir werden sie mit Schnee füllen, den wir im Laufe der Zeit mit unserer Körperwärme zu Wasser schmelzen), eine Erste-Hilfe-Ausrüstung, jede Menge Handys ohne Empfang, einen Kaffeebecher mit Motiv aus den Sawtooth Mountains, eine Campinglaterne, eine Sonnenbrille für mich. Und einen zweiten Schlafsack, der, wie ich sofort erkenne, das Ende meiner sehr kurzlebigen körperlichen Erfahrung mit dem anderen Geschlecht bedeutet.
Ich folge Paul zurück zum Heck des Flugzeugs. Wir haben den Wind nun im Rücken, daher kommen wir gut voran. Wir bleiben draußen stehen. Zum ersten Mal ist die Sicht klar genug, dass wir unseren Unterschlupf von außen in Augenschein nehmen können. Das Heck des Flugzeugs ist weitgehend unversehrt geblieben. Der kleine Flügel auf der rechten Seite des Hecks hat sich in den Schnee gebohrt, und der linke Flügel ragt in einem Fünfundvierzig-Grad-Winkel in die Luft. Das Seitenruder zeigt in den Himmel und ragt über die Felskante, wie der obere Teil eines zerbrochenen Kreuzes, das den Ort eines winterlichen Grabes anzeigt.
Ich werfe einen Blick auf die Tür der Toilette – sie ist in der Mitte des nun freiliegenden Kreisbogens, der einst nahtlos mit der Passagierkabine verbunden war, schräg zur Seite gedrückt. Das Metall drum herum ist übel in Mitleidenschaft gezogen worden. Ich stelle mir vor, es hätte eine Stimme und brülle nun vor Schmerz darüber, erbarmungslos von seinem Körper abgerissen worden zu sein. Verzogen und in der Mitte leicht eingedellt, verkörpert diese Tür die hauchdünne schützende Linie zwischen der Wildnis und uns.
Paul drückt die Toilettentür auf und fängt an, all die Sachen anzuordnen, die wir im Rumpf des Flugzeugs gefunden haben. Ich mache ein paar Schritte hinter das Heck und plötzlich schlägt mir ein giftiger Geruch von verschüttetem Flugzeugbenzin entgegen. Der Schnee ist von einem bläulich grünen Schimmer durchtränkt, der hinter dem Flugzeug seine Spur zieht. Der Wind, vermute ich, muss die Dämpfe von unserer Toilettenkabine weggeweht haben. Ich halte mir schnell Mund und Nase zu, aber der Gestank ist stechend, und die Kombination aus Hunger, Durst und Dämpfen überwältigt mich. Ich beginne zu schwanken, und plötzlich ist Paul da und hält mich am Unterarm fest.
»He – du darfst dieses Zeug auf keinen Fall einatmen. Es kann dich umbringen.«
»Tut mir leid«, murmele ich.
»Das ist auch einer der Gründe, warum wir nicht hierbleiben können. Wenn der Wind dreht, müssen wir Tag und Nacht Kerosindämpfe einatmen.«
Ich nicke, doch ich bin zu schwach, um die Aussage »Wir können nicht hierbleiben« zu verarbeiten. Die Worte hallen in meinem Inneren wider, aber ich bin nicht in der Lage, mich ihnen oder Paul zu stellen.
Paul führt mich zurück und öffnet die Tür.
»Du zuerst«, sagt er.
Ich trete hinein, und Paul hat alles wie ein kleines Nest für uns eingerichtet. Mir geht das Herz auf. Er klettert hinter mir herein, und es ist jetzt noch enger als zuvor. Er ist so groß, und das Heck liegt so schräg und ist so vollgestopft, dass wir uns nur zusammen an die Wand lehnen können, in einer halb liegenden, halb stehenden Position.
Wir mummeln uns in den Schlafsack, und dann reicht mir Paul einen mit Schnee gefüllten Kaffeebecher. Wir betrachten den Rest unserer Beute, den ich auf dem Boden ausgebreitet habe: zum größten Teil bestehend aus Schokoriegeln, die ich alle auf einmal als ein einziges Mittagessen zu mir nehmen könnte. Aber es ist alles, was wir haben, und wir müssen es uns gut einteilen.
»Halt den Becher gerade«, fordert er mich auf.
Er nimmt die winzige Campinglaterne, zerbricht das Glas oben um die Flamme herum und zündet sie an. Sie liefert so gut wie keine Hitze, aber Paul stellt die Tasse direkt über die Flamme und schmilzt so den Schnee.
»Warum essen wir den Schnee nicht einfach?«
»Wie ich schon sagte, das würde dich umbringen. Wir laufen bereits jetzt Gefahr, uns zu unterkühlen. Wenn wir Schnee essen, wird unsere Körpertemperatur noch weiter absinken. Später werden wir den Schnee in den Limoflaschen mit unserer Körperwärme schmelzen, aber wir brauchen das Wasser jetzt. Das ist viel wichtiger als Essen.«
Wir warten schweigend lange Zeit, während der Schnee zu Matsch wird und der Matsch zu Wasser. Als der Becher voll ist, nippe ich an dem warmen Wasser. Es ist der Himmel auf Erden.
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