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Survive

Survive

Titel: Survive Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Alex Morel
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habe gestern gelogen, also kannst du aufhören, mich so zu nennen. Bitte.«
    Eine Pause erfüllt die Dunkelheit. Ich weiß nicht, woher ich all diesen Mut nehme, aber ich weiß, dass ich einen unkontrollierbaren Drang verspüre, nicht zu lügen. Von jetzt an nicht mehr. Nicht mehr lügen. Und Schluss.
    »Ist gut«, sagt er. Und fügt nach einer Weile halblaut hinzu: »Aber ich merke sehr wohl, dass du zu viel nachdenkst. Manchmal ist handeln besser als denken, weißt du?«
    »Nicht so recht«, erwidere ich.
    Plötzlich küsst er mich auf den Kopf, auf eine brüderliche Weise, mehr nicht.
    »Weißt du, das wollte ich die ganze Zeit schon tun, aber ich habe zu viel darüber nachgedacht.«
    »Ganz schön clever«, sage ich.
    »Nacht«, flüstert er.
    Ich kauere in der Dunkelheit und denke über den Tag nach. Er war endlos und überaus anstrengend – als hätte ich in vierundzwanzig Stunden ein ganzes Leben durchlebt. Ich höre Paul leise schnarchen. Ich frage mich, was der morgige Tag bringen wird.

Kapitel 18
    Ich wache auf. Etwas Licht dringt durch einen Spalt unter der Tür herein. Pauls Arme umklammern mich: Sein rechter Arm liegt unter meinem Körper und der linke ruht auf meiner Taille, mit der Hand fasst er direkt über dem Hüftknochen in meine Seite.
    Ich habe über das Überleben in der Wildnis gelesen, und ich weiß, dass man in extremer Kälte Halluzinationen haben kann. Und nun ist hier ein Kerl um die zwanzig, der mit mir in Löffelchenstellung schläft, und so frage ich mich, ob es sich vielleicht tatsächlich um eine Halluzination handelt. Verliere ich den Verstand? Ich erwäge die Möglichkeit, dass ich in Wirklichkeit tot bin und das Ganze der Beginn eines unerwarteten jenseitigen Lebens ist. Ich hätte mir wohl kaum ein noch klassischeres Szenario zusammenspinnen können, als in den Armen eines hübschen Jungen zu erwachen.
    Ich will mich nicht bewegen, aus Furcht, ihn zu wecken. Ich horche auf seinen Atem, der ruhig und gleichmäßig geht. Beim Ausatmen spüre ich die Wärme auf meinem Hals. Vielleicht kommt heute jemand und findet uns, und alles ist vorüber. Ich wünschte, ich hätte eine enge Freundin, der ich davon erzählen könnte. In der Anstalt gäbe es niemanden, außer Old Doctor. Ihm würde die Geschichte gefallen. Ich kann mir vorstellen, wie er sagt: »Jane, verstehst du jetzt? Du warst dort oben lebendig, im Angesicht des Todes. Die tollsten Sachen passieren, wenn du lebendig durch die Welt gehst.«
    »Bist du wach?« Pauls Stimme ist rau und tief.
    »Ja, warum?«
    »Du hast Selbstgespräche geführt. Ich hab gedacht, du träumst vielleicht.« Er bewegt sich ein wenig, hebt den linken Arm und streckt ihn.
    »Was habe ich gesagt?«, frage ich.
    »Das willst du nicht wissen.«
    Oh mein Gott!
    »Bitte, erzähl es mir«, bettele ich.
    »War nur Spaß.«
    Danke, lieber Gott.
    »Meine Hände fühlen sich schon besser an«, bemerkt er, während er die geprellten Finger seiner linken Hand bewegt. »Aber meine Kopfschmerzen bringen mich um.«
    »Meiner tut auch weh«, sage ich.
    »Wir sind dehydriert. Ausgetrocknet. Kopfschmerzen sind das erste Warnzeichen des Körpers. Wir müssen Wasser finden.«
    Das ist zweifellos wahr, aber was mich im Moment wirklich beschäftigt, ist, dass ich ganz dringend pinkeln muss. Mir wird bewusst, wie bizarr meine Situation ist. Ich teile buchstäblich eine Toilette mit einem Typen, den ich, in Echtzeit gemessen, vor vielleicht dreihundert Wörtern kennengelernt habe. Klar, wir haben gemeinsam einen Flugzeugabsturz überlebt, und ich habe ihm das Leben gerettet, und irgendwie haben wir wohl zusammen geschlafen, was vielleicht ein so starkes Band zwischen uns geschaffen hat, das die Ewigkeit überdauern wird. Doch der Gedanke, vor ihm zu pinkeln, ist für mich trotz allem absolut undenkbar.
    »Am liebsten würde ich für immer so liegen bleiben«, flüstert er.
    »Warum flüsterst du?«
    »Was meinst du?«
    »Du flüsterst, und wir sind allein, irgendwo mitten im Nirgendwo, in einer Toilette.«
    »Du hast recht«, stimmt er mir zu, dann brüllt er laut: »Niemand kann uns hören, oder?«
    Keine Halluzination: Er ist immer noch genauso nervig wie bei unserer ersten Begegnung. Aber ich kann nicht umhin, manche seiner Macken charmant zu finden.
    Er beugt sich vor und zieht den Reißverschluss des Schlafsacks auf.
    »Wir sollten die Gegend erkunden. Und ich muss wirklich ganz dringend aufs Klo«, vertraut er mir an.
    »Ich auch. Und zwar hier.«
    Wir stehen beide da,

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