Survive
sitze fest«, rufe ich, »unter einem Felsvorsprung.«
Ich kann hören, wie Paul ganz langsam zur Felskante vorrückt, wahrscheinlich aus Angst, hinabgezogen zu werden und mit mir gemeinsam in den Tod zu stürzen.
»Jane?«
Er ist nicht weit von mir weg, aber wegen des Felsens kann ich ihn nicht sehen.
»Ja?«
»Dein Seil hängt fest. Es ist irgendwo im Fels eingeklemmt. Deshalb kannst du nicht auf das Sims hinaufsteigen.« Seine Stimme ist ruhig. »Wir müssen es durchschneiden.«
Das Seil durchschneiden. Er hätte genauso gut sagen können: Jane, wir müssen dir das Herz aus dem Leib schneiden. Panik überkommt mich.
»Ich werde fallen!«
»Nein, wirst du nicht. Halt dich gut fest und gib mir Bescheid, wenn das Seil dich nicht mehr trägt.«
Ich klammere mich so fest, wie ich kann, bis ich im Innersten spüre, dass ich es bin, die meinen Körper an diesem Berg festhält. Nicht Paul. Nicht Gott. Kein Seil. Nur Jane.
»Fester kann ich nicht mehr zupacken«, rufe ich schließlich. Meine Stimme überschlägt sich. »Ich habe Angst, Paul!«
»Ich schneide es jetzt durch. Es wird nicht mal eine Minute dauern. Länger musst du nicht durchhalten. Das kriegst du hin. In ungefähr dreißig Sekunden wirst du links von dir meine Hand sehen. Pack fest zu, und ich ziehe dich hoch. Vertrau mir. Ich werde dich nicht loslassen.«
»Okay.« Ich sage es so leise, dass er mich sicher nicht hören kann.
»Keine Minute«, verspricht er.
Ich klammere mich mit aller Kraft fest. Ich denke wieder an meine Engel, als würde ich mit einem Flugzeug abheben. Haltet mich fest, bitte ich. Haltet mich, damit ich auf dieser Welt bleibe. Ich denke an meinen Großvater und meinen Vater und meinen Cousin.
Ich stelle mir vor, wie sie ihre Hände auf meinen Rücken legen, wie sie mich gegen den Berg drücken. Plötzlich komme ich mir ganz leicht vor.
»Jane, du wirst das Seil selbst durchschneiden müssen. Ich finde von hier oben nicht den richtigen Winkel.«
Seine Hand erscheint mit dem Messer. Ich strecke meinen Arm aus und packe es mit der Rechten.
»Du kriegst das hin«, wiederholt er.
Ich kann nicht einmal die Energie aufwenden, die es für eine Antwort gebraucht hätte.
Das Seil ist straff gespannt. Ich drücke die Schuhspitzen in den Fels und meine linke Hand umklammert ihn so fest, wie es geht. Ich nehme das Messer, lege den gezackten Rand auf das Seil und beginne zu sägen. Ich presse den Kopf buchstäblich in die Bergwand, während ich säge, und versuche, den Rest meines Körpers so reglos wie möglich zu halten. Die Klinge ist scharf, und obwohl das Seil dazu gemacht ist, nicht durchzuscheuern, bahnt sich das Messer seinen Weg. Als ich bei den letzten Fasern angelangt bin, stelle ich noch einmal sicher, dass meine Position halbwegs stabil ist, und durchtrenne das Seil dann endgültig.
Es reißt, und mein Gewicht verlagert sich mehr, als ich es erwartet habe. Für eine Sekunde schwanke ich. Im gleichen Moment erfasst mich der Wind, und mein linker Fuß bewegt sich einen Millimeter. Reflexartig fährt meine rechte Hand durch die Luft, und ich lasse das Messer fallen. Ich klammere mich mit beiden Händen fest, und meine Füße scharren am Fels, versuchen, Halt zu finden. Ich schaue hinunter und sehe meine Stiefel, die Wand und dann gut dreißig Meter Leere.
»Nimm meine Hand! Nimm meine Hand!«
Ich höre Paul rufen. Ich schaue nach rechts, und da ist sie, vielleicht dreißig Zentimeter vor mir. Meine linke Hand beginnt abzurutschen, und ich rudere wild mit der rechten, hinüber zu Pauls, und wir ergreifen einander, gerade als meine linke den Halt verliert. Ich baumle an einem Arm über dem Abgrund. Pauls Riesenhand packt mich, aber wir schweben mitten in der Luft. Er hält mich mit all seiner Kraft, doch er kann mich nicht hochziehen und über das Sims wuchten.
»Deine Füße, Jane, du musst Tritt fassen!«
Meine Füße sind ein ganzes Stück von der Wand entfernt und baumeln wild durch die Luft. Ich greife mit der linken Hand hinauf und erwische einen kleinen Felsabsatz oben auf dem Sims. Ich ziehe, so fest ich kann, und plötzlich scheint es, als könnten wir beide zusammen, Paul und ich, die Schlacht gewinnen. Ich spüre, wie sich mein Körper Zentimeter für Zentimeter nach oben bewegt. Paul schreit wie ein wildes Tier und gibt alles, was er hat. Und dann schlägt meine Brust auf die Felskante, und ich werfe das rechte Bein hinüber und rolle auf den Sims.
Ich stoße einen Schrei aus und hämmere auf den Boden. Es
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