Survive
kommt mir so vor, als müsse mir das Herz aus der Brust springen, so heftig wummert es. Paul robbt zu mir, rollt mich herum und legt den Arm um mich, so fest er kann. Als das Klingeln in meinen Ohren abebbt, merke ich, dass er mir etwas zuflüstert.
»Es ist alles gut, alles gut, alles gut.«
Ich schluchze und denke daran, wie nah ich dem Tod war, wie nah ich dran war, Paul mit mir über diese Felswand hinab in die Tiefe zu ziehen. Wir liegen eine ganze Weile so da, halten einander einfach nur fest und atmen tief durch.
»Ich habe das Messer fallen lassen«, sage ich schließlich.
»Ich weiß. Es war das Einzige, was du tun konntest.«
Ich habe inzwischen begriffen, dass wir das Schlimmste immer noch nicht hinter uns haben. Uns steht noch ein weiterer Überhang bevor, den wir vorher von unten gar nicht sehen konnten. Aber Paul lächelt, als er nach oben blickt. »Sieht doch gut aus. Endlich haben wir mal Schwein.«
Kapitel 23
Als ich von meiner Position auf dem winzigen Felssims zu dem aufragenden Überhang hinaufschaue, von dem ich mir nicht einmal vorstellen kann, dass ein Klettermeister ihn erklimmen kann, geschweige denn ein körperliches Wrack wie ich, durchflutet mich ein Glücksgefühl. Und zwar genau in dem Moment, als auch ich entdecke, dass der Überhang in zwei unterschiedliche Felsstücke gespalten ist.
»Du meinst, dass wir einfach durch den Spalt hindurchklettern können statt von außen um den Überhang herum?«
»Du stellst dich auf meine Schultern, und dann schiebe ich deine Füße hoch, bis du Halt findest und dich hochziehen kannst«, erteilt mir Paul seine Anweisungen, während er den Spalt inspiziert. Ich reagiere nicht, und er wendet seine Aufmerksamkeit wieder mir zu. »Alles klar?« Ich nicke.
»Und was passiert dann?«, frage ich.
»Du wirst mich hochziehen oder irgend so was«, sagt er. »Wir werden uns etwas überlegen.«
»›Irgend so was‹ klingt nach einem tollen Plan«, gebe ich zu bedenken.
»Bisher hat’s funktioniert.«
Ich weiß nicht, wie er so leben kann. Planlos. Instinktgesteuert. Es macht mich verrückt, aber ich beiße mir auf die Zunge.
Paul kniet sich hin, und ich trete auf seine Schultern und kralle mich an seinen Händen fest. Er steht auf und umklammert meine Knöchel. Ich greife nach oben und ertaste den unteren Rand der Spalte, bis ich mit der linken Hand einen Halt finde. Ich versuche, mich hinaufzuziehen, habe aber nicht die Kraft, so weit zu kommen, dass meine Füße Tritt fassen können.
»Es ist zu hoch«, sage ich.
»Warte«, ächzt Paul, und nun legt er seine Hände unter meine Stiefel und drückt mich mit aller Kraft nach oben. Ich strecke und recke mich, bis meine linke Hand das obere Ende der Felswand zu fassen bekommt und mein rechter Stiefel Tritt findet. Ich stemme mich kräftig ab, und Paul versetzt mir einen letzten Schubs. Ich hieve mich über den oberen Rand, lande hart auf dem Felsboden und ziehe hastig die Beine nach.
»Ich hab’s geschafft«, brülle ich.
»Bleib, wo du bist.«
In Minutenschnelle ist Paul die Wand hinaufgeklettert und springt dann mühelos den Spalt empor, als hangele er sich eine Turnstange hinauf. Als er den breiten Rand der Spalte erreicht, zieht er sich hoch und ist oben.
Er steht auf und lässt den Blick über das Tal schweifen. Auf seinem Gesicht liegt ein breites Lächeln.
»Nicht schlecht, Solis.«
Er setzt sich neben mich, legt die Hand um meine Schultern und zieht mich an sich. Mein Kopf fällt auf seine Schulter.
»Ja, nicht schlecht, Hart.«
Er sucht mit den Augen die Umgebung ab und schaut dann hinter uns. »Nicht direkt das, was ich mir erhofft hatte.«
Auch ich blicke mich um. Mir wird flau. Ich bin mir nicht sicher, ob es für das, was ich sehe, der richtige Ausdruck ist, aber ich nenne es einen falschen Gipfel.
Wir sind umringt von Bergkuppen, die viel höher sind als die, auf der wir stehen. Solange die Sicht nicht kristallklar ist, kann uns ein Suchflugzeug unmöglich entdecken.
»Hier können wir nicht gefunden werden, oder?«, frage ich.
»Du meinst lebend?«
»Natürlich.«
»Unwahrscheinlich.«
Er legt sich auf den Rücken und sieht hinauf.
»Wir müssen einen geschützten Ort finden, bevor die Sonne untergeht.«
Ich sehe mich um und schaue dann zur Sonne hinauf oder jedenfalls dorthin, wo sie sein sollte. Ich kann nicht glauben, dass wir all diese Strapazen durchgemacht haben, und sich unsere Situation trotzdem nicht im Mindesten verändert hat. Außer der Tatsache, dass
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