sus
was die Gehirntätigkeit betrifft. Die Dame
heißt Elvire Prentice . Kümmert
sich auch um das, was sie nichts angeht, vertreibt sich ihre Freizeit mit
Rätselraten.
Warum ist sie wohl hier? Will
sie sich in aller Unschuld Miederwaren vorführen lassen, die denen aus ihrer
Jugendzeit nur entfernt ähneln? Oder hat sie auch von irgendetwas Wind
bekommen? Kreuzen sich hier ihre Wege und die von Nestor Burma? Wenn das so
ist, gibt das ‘ne komische Vorstellung.
Na ja, wir werden sehen.
Hoffentlich erkennt sie mich nicht! ,Oh! Guten Tag, meine Kleine! Immer noch
bei dem Privatflic , diesem Tyrannen? Wie geht’s
unserem lieben Nestor? Gräbt er immer noch Leichen aus?’ Mein Gott, das hätte
mir grade noch gefehlt!
Ich atme tief durch und gehe um
die schnatternden Gänse herum auf einen Zeitungskiosk zu. Dort tue ich so, als
blättere ich in Modezeitschriften, und warte auf die Dinge, die da kommen
werden.
Ich drehe mich wieder um. Die
Gruppe — mittendrin Elvire — steht immer noch da... zusammen mit einer weiteren
unangenehmen Überraschung; es sind noch einige Frauen hinzugekommen, darunter
auch bekannte Gesichter: die temperamentvolle Valentine de..., neben ihr
Colette Renard alias Irma la Douce ,
nach dem Titel des Theaterstückes von Alex-andre Breffort ,
das zur Zeit im Gramont gegeben wird. Also, ich
glaub, ich lasse meine Mission sausen. Ich kenne wirklich zu viele Leute. Kaum
anzunehmen, daß mich niemand bemerkt. Aber ich höre schon, wie Nestor Burma
herumfluchen wird. Das erinnert mich wieder an Realitätssinn und
Verantwortungsgefühl. Übrigens sind Valentine de... und Irma la Douce weitergegangen. Haben wohl nur eine Freundin
begleitet. Bleibt also noch Elvire Prentice . Jetzt
betritt sie das Geschäft. Ich warte eine Minute, dann gehe ich ebenfalls
hinein. Alle diese Frauen, die mich wiedererkennen könnten, haben mich nervös
gemacht. Dazu kommt noch das Wetter: gewittrig, drückend, feucht, wie ein
schwüler Sommernachmittag. Wir haben zwar erst Frühling, aber durch diese
Scheißkriege haben sich die Jahreszeiten verschoben.
Die Modenschau findet im ersten
Stock statt. Im Geschäft unten geht der Verkauf weiter. Ich folge dem Strom
derer, die sich offensichtlich auskennen, auf eine Treppe hinter einem Vorhang.
Weit und breit keine Elvire Prentice zu sehen. Sie
ist bestimmt schon oben. Ich lasse die geschwätzigen Elstern vorgehen.
Oben an der Treppe empfangen
mich zwei Frauen. Die eine ist jung, blond, gertenschlank. Die andere hat die
Fünfzig hinter sich, streng, aber geschmackvoll gekleidet, brünett, dunkler
Teint, leicht geschlitzte Augen, vorspringende Wangenknochen. Ihr langes Haar,
altmodisch in einem dicken Knoten im Nacken zusammengesteckt, wird an den
Schläfen so langsam grau. Langsam. Ganz langsam. Früher muß sie mal sehr schön
gewesen sein. Der einzige schwache Punkt an diesem wohlproportionierten Körper
sind die Finger: weder zart noch grazil, sondern dick. Schade. In diesen mißglückten Fingern hält sie einen Stift und ein Notizbuch,
so als wolle sie eine Bestellung aufnehmen oder irgendeine Eintragung machen.
Blond und Braun lächeln mich
an. Ein stereotypes Lächeln, die geschäftstüchtige Luxusausgabe.
„Ihre Einladung, bitte“, sagt
die Blonde.
Also wirklich, so geht’s nicht.
Ich träume zuviel vor mich hin. Hätte mir doch denken
können, daß man kontrolliert wird. Die Einladung ist natürlich noch in meiner
Tasche. Ich öffne sie und wühle in dem üblichen Durcheinander. Endlich fische
ich die Karte zwischen anderen Papieren und Zetteln heraus. Dann laß ich meine
Tasche wieder zuschnappen; gleichzeitig bricht der Bleistift der Brünetten ab.
Die Blonde sieht die Ältere nicht übermäßig erstaunt an, eher mitleidig.
„Sie sollten ausspannen, Madame
Sonia“, sagt sie. „Die Vorbereitung der neuen Kollektion hat Sie zu sehr
angestrengt, wie immer.“
„Ach!“ seufzt Madame Sonia
achselzuckend. „Bald haben wir’s geschafft...“
Ihre Stimme ist nicht
unangenehm. Schleppend, etwas rauh , müde. Der
russische Akzent ist kaum hörbar. Sie seufzt noch einmal, betrachtet den abgebrochenen
Bleistift in ihrer Hand und wirft ihn dann in eine Glasschale, die hinter ihr
auf einem Möbel steht. Auch ihr Notizbuch legt sie zur Seite.
Die Blonde nimmt meine
Einladungskarte, dankt mir mit einem Lächeln, das jetzt wieder rein geschäftlich
ist. Madame Sonia lächelt mir ebenfalls zu, allerdings gezwungen. Ihr Gesicht,
plötzlich blaß geworden, hat sich
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