sus
nicht verraten, für welches
gewagte unzüchtige Teil ich mich entscheide.
Plötzlich spüre ich jemanden
hinter mir. Hat sich vielleicht Madame Elvire...? Ich erschauere. Zu allem
entschlossen, drehe ich mich um. Nein, hinter mir sitzt nicht Madame Elvire,
sondern Madame Sonia. Sie hat mich so sehr mit ihrem Blick durchbohrt, daß ich
es gespürt habe. Wir sehen uns an; sie bemüht sich, etwas sanfter zu wirken,
und lächelt mich an. Zuckersüß wird es aber dennoch nicht.
Die Vorführung ist zu Ende.
Alle halten es für notwendig, in Begeisterungsstürme auszubrechen. Ein
herrliches Chaos. Beim Defilee der Mannequins hat man sich schon en détail begeistert, jetzt tut man’s en gros. Natascha, Sonia und die lange Bohnenstange nehmen dankend Glückwünsche und
Lobhudelei entgegen. Eine dicke Matrone neben mir säuselt ihrer ebenbürtigen
Freundin zu, sie habe ihr Auge auf den Kleinen Wunsch geworfen. Wenn man
bedenkt, für welchen Taillenumfang der Kleine Wunsch entworfen worden
ist... Ich muß mich beherrschen, daß ich nicht laut lospruste.
„Und jetzt, meine lieben
Freundinnen, meine Damen“, verkündet Natascha, „wenn Sie sich bitte nach
nebenan begeben möchten...“
Man begibt sich nicht, man
stürzt in den Salon nebenan. Hinter einem Buffet warten vier Serviererinnen in
Rosa und Weiß, fast in Habachtstellung. In kostbaren Porzellanschalen und auf
Silbertabletts türmen sich petits fours , Kuchen, kleine Sandwiches usw. An Getränken
stehen Obstsäfte, Soda, Kirsch, Chartreuse und — Rußland verpflichtet! — Wodka bereit.
Die Gläser klingen. Die petits fours verschwinden in den aufgerissenen Mündern. Die Türme sind nur noch halb so
hoch. Bei dieser Fresserei wird keine der Anwesenden das Zeug anziehen können,
das uns soeben gezeigt wurde. Nur die Mannequins, die sich unter die Gäste
gemischt haben, achten auf ihre Linie. Lustlos knabbern sie an ungefährlichem
Zwieback.
Sonia weicht mir nicht von der
Seite. Sorgt wie eine Mutter für mich. Ich bin ihr offensichtlich ins Auge
gesprungen. Genauer gesagt: nicht eigentlich ich bin ihr ins Auge gesprungen,
aus dem sie mich jetzt nicht mehr läßt. Ich bitte sie um ein Gläschen Wodka.
„Sie mögen Wodka, meine
Kleine?“
„Also eigentlich... Ich muß
Ihnen gestehen... ich hab noch nie welchen getrunken... aber ich nehme an, für
eine Journalistin...“
„Na schön...“
Sie winkt eins der Mädchen zu
sich.
„Zwei Wodka, bitte.“
Beide Gläser sind großzügig
bemessen. Ich trinke. Schmeckt nach gar nichts, trinkt sich wie Wasser, wie
glasklares Wasser. Unmittelbar darauf jedoch wärmt es den Magen, und man fühlt
sich irgendwie wohl.
Sonia leert ihr Glas wie ein
Kosak und stellt es auf ein Tablett.
„Und, meine Kleine? Was sagen
Sie dazu?“
Ich sage was dazu.
„Zu Hause bei mir“, sagt Sonia,
„steht ein noch viel besserer Wodka.“
Sie erinnert mich an den Kerl,
der mir seine japanische Briefmarkensammlung zeigen wollte. Aber ich weiß, was
ich weiß, und ich weiß, daß das nicht gemeint ist.
„So?“ frage ich lachend.
„Vielleicht laß ich mich noch irgendwann mal zu Ihnen einladen, Madame.“
„Nennen Sie mich Sonia“, sagt
sie. „Wenn es Sie nicht stört.“
„Oh nein!“
„Und wie war Ihr Vorname? Sie
haben ihn genannt, aber ich hab ihn vergessen. Sie können sich nicht
vorstellen, wie anstrengend die Vorbereitungen für eine solche Modenschau sind.
Monatelang lebt man unter ständiger Anspannung. Und wenn der große Tag kommt,
ist es noch schlimmer. Man ist völlig abgestumpft.“
„Hélène“, sage ich.
„Ach ja, stimmt. Hélène.“
Sie wiederholt meinen Namen,
vielleicht zum Vergnügen, vielleicht aus einem anderen Grund.
„Hat Ihnen die Vorführung
gefallen, Hélène?“ erkundigt sie sich.
„Oh ja!“
„Wird es Ihnen gelingen, einen
guten Artikel für Ihre Zeitung zu schreiben?“
„Ich hoffe.“
„Wann wird er fertig sein?“
„Oh, das eilt nicht. Das ist
nur ein Test für mich. Ich glaube nicht, daß der Artikel erscheinen wird.“
„Ja, natürlich... Sagen Sie,
würde Sie eine Reportage interessieren... ich meine eine ganze Serie... über
die Herstellung von Luxuswäsche?“
„Auf jeden Fall...“ Ich
zwinkere ihr zu. „...würde das unsere Leser interessieren. Vor allem die Fotos.
Aber es müßte auch meinen Chefredakteur interessieren.“
„Das wird es bestimmt!
Vielleicht ist eine Reportage nicht das richtige Wort. Ich meine mehr eine
Pariser Serie... Die Einzelheiten
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