sus
Unterhaltung plätschert so dahin.
„Das also ist Sceaux “, bemerke ich. Eine völlig überflüssige Bemerkung.
Für meine neuen Freundinnen dürfte das nichts Neues sein.
Dann fahren wir an dem Kommunalfriedhof
vorbei. Er ist ziemlich bescheiden, und man sieht ihn nicht von weitem. Aber
ich weiß, daß er sich hier befindet.
„Hier in Sceaux liegt ein berühmter Mann begraben“, spiele ich die Fremdenführerin.
Natascha macht einen
plötzlichen Schlenker, so daß wir beinahe auf dem Bürgersteig landen. Dann hält
sie das Steuer wieder fest in der Hand. Sie zischt ein paar russische Wörter.
Wahrscheinlich Flüche.
„Hab’s Ihnen ja gesagt, daß ich
todmüde bin“, sagt sie und drosselt die Geschwindigkeit. „Ich schlafe hinterm
Steuer ein... Na ja, wir sind gleich da...“
Sie gähnt.
„Was haben Sie gerade gesagt?“
erkundigt sie sich. „Was war mit dem berühmten Mann?“
„Valentin
le Désossé“, sage ich . „Sie wissen doch, wer das war, oder?“
„Der Tänzer vom Moulin-Rouge?
... Partner von La Goulue ? ...“ Sie lacht. „Hab den
Film von John Huston gesehen...“
„Doch nicht etwa, um
Toulouse-Lautrec kennenzulernen, nehme ich an?“
„Nein, natürlich nicht. Also,
dieser Valentin...“
„...wurde hier auf dem Friedhof
von Sceaux beigesetzt. In der Gruft der Familie Renaudin . Das wissen nur wenige.“
„Das wußte ich auch nicht.“
„Valentin war ein Renaudin . Sein Bruder war hier Notar. Eine ganz andere
Richtung.“
„Kann man wohl sagen. Hier
gibt’s auch eine Rue Marguerite Renaudin , ein paar
Straßen weiter.“
„Die Frau des Notars.
Schwägerin des Tänzers.“
„Sie wissen ja gut Bescheid“,
sagt Sonia anerkennend.
„Na ja... Schließlich bin ich
Journalistin, oder? Fang zwar erst grade an, aber trotzdem...“
„Hochinteressant“, sagt
Natascha, müde seufzend. Dann widmet sie ihre Aufmerksamkeit wieder ganz dem
Autofahren, damit ihr nicht noch so ein Schlenker wie eben passiert.
Wir fahren über die Kreuzung,
dann an einem öffentlichen Park mit abgetretenem Rasen entlang, an einem
Tennisplatz. Schließlich biegen wir in eine Avenue ein. Links und rechts dichte
Bäume, dahinter hübsche, ansehnliche Villen, in den Fenstern Frühlingsblumen.
Jetzt nach rechts. Auf einem blauen Straßenschild mit abgeblätterter Emaille
lese ich: Boulevard Jean- Bouret . Natascha hält vor
der Nummer 21.
Das zweistöckige Haus ist im
normannischen Stil gebaut. Weiße Fensterrahmen, auf dem Dach pittoreske
Mansardenfenster. Der Garten vor dem Haus ist durch eine efeubewachsene Mauer
von der Straße getrennt. Hinter dem Haus erheben sich wunderschöne hohe Bäume.
„Hier wären wir“, sagt Sonia.
Wir steigen aus. Trotz
Polizeiverordnung hupt Natascha zweimal, zerreißt die Stille dieser ländlichen
Idylle. Daraufhin erscheint ein Mann hinter dem Gittertor, kommt heraus auf den
Bürgersteig. Er hält sich kerzengrade, hat ein kantiges Kinn, hervorspringende
Backenknochen, blaue Augen und Falten im Gesicht, wie es faltiger nicht geht.
Zu seiner grünen Schirmmütze trägt er einen braunen Pullover (nicht mehr ganz
neu, aber immerhin nicht so alt wie er selbst!), und eine khakifarbene Hose mit
aufgesetzten Taschen an jeder Seite, die schlaff herunterhängen. Ein
Übriggebliebener der Armee Wrangel , schießt es mir
durch den Kopf, bekleidet mit Resten aus amerikanischen Armeebeständen. Find
ich aber gar nicht komisch.
Er nimmt seine Mütze ab und
sagt etwas auf russisch .
Wohl so was wie ‘ne Begrüßung. Sonia und Natascha antworten ihm; Natascha gibt
ihm einen Schlüssel. Damit schließt er die Garage auf. Natascha fährt den Wagen
hinein. Sonia und ich gehen durch den Garten aufs Haus zu. Ich höre ein dumpfes
Rollen.
„Wurde wohl höchste Zeit“,
bemerke ich.
Sonia sieht mich fragend an.
„Das Gewitter“, füge ich
erklärend hinzu.
„Gewitter? ... Ach ja, das
Rollen... Da ist aber kein Donnern. Das ist die Metro. Die Linie führt auf der
anderen Seite vorbei... gleich hinterm Haus.“
„Jedenfalls wird es nicht mehr
lange dauern.“
Ich zeige auf die hohen Bäume,
die von einem stürmischen Wind hin- und herbewegt werden. Das verheißt nichts Gutes. Die schwarzen Wolken jagen über den Himmel,
aber vom Horizont steigen immer wieder neue auf.
Sonia zuckt die Achseln.
„Im Haus regnet es nicht“,
bemerkt sie.
Unter unseren Füßen knirscht
der Kies.
* * *
„Endlich Ruhe!“ ruft Natascha.
Daß sie todmüde ist, wissen wir
ja jetzt
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