sus
Gewitter!“
„Er war also seltsam, hatte
sogar Urlaub genommen. Zur Erholung... Hm... War erst wenige Stunden wieder bei
der Arbeit, als die Tragödie geschah. Wissen Sie, was ich meine? Werde mir
gelegentlich bei Ihrer Freundin Sonia die Bestätigung dafür holen, aber... der
Kerl war erschöpft, brauchte Ruhe, frische Luft... In Aufzügen hat man keine
Aussicht... Er kannte Natascha, hat sie gefragt, ob er zu ihr kommen könne...
für Gartenarbeit, zum Beispiel.“
„Ach ja?“
Meine Sekretärin läßt ihr Haar
tanzen. Spitzbübisch knipst sie mir ein Auge zu.
„Und Sie glauben das, was Sie
erzählen?“ fragt sie.
Ich muß lachen.
„Ach was“, sage ich. „Nicht
mehr als das, was ich Ihnen eben gesagt habe. Hätte noch gefehlt, daß ich
zwischen den Reden Chruschtschows und den Räubergeschichten um Omer Goldy einen Zusammenhang herstelle.“
* * *
Geduldig warten wir auf die
folgenden Ausgaben des Crépuscule . Durch sie erfahren wir weitere Einzelheiten. Wie fast alle weißrussischen
Emigranten — deren Reihen sich allmählich lichten — ist auch der
Aufzugmechaniker eine schillernde Gestalt. Über ihn kann man ‘ne Menge
zusammenschmieren. Mein Freund Marc Covet läßt sich
das natürlich nicht entgehen. Iwan Kostenko, ehemaliger Medizinstudent und
subalterner Offizier, war Adjutant oder Sekundant oder so ähnlich - nur auf
russisch — von General Goropoff und Oberst Lopukjin . Oberst Lopukjin ist
zwar kein unbeschriebenes Blatt, ziemlich undurchdringlich. Aber Marc Covet hält sich nicht weiter mit ihm auf. General Goropoff gibt mehr her. Der ehemalige Offizier des Zaren
und unbestrittene Führer der Weißgardisten in Europa ist nämlich auf
geheimnisvolle Weise verschwunden. Wenige Monate vor dem Krieg. Von der GPU verschleppt, sagen die einen; von der Gestapo, behaupten
die andern. Covet weist darauf hin, daß Iwan Kostenko
damals eine wichtige Aussage gemacht hatte. So wichtig, denke ich bei mir, daß
man nie erfahren hat, was aus Goropoff geworden ist.
Na ja, das nur am Rande.
„ Goropoff !“
ruft Hélène.
„Was ist mit Goropoff ?“
„Sonia hat von ihm gesprochen.
Nataschas Mann, Spirido -witsch, kannte Goropoff .“
„Diese Emigranten brüten immer irgendwas
aus. Kennen sich alle. Das ist nichts Besonderes.“
„Und was ist aus ihm geworden,
diesem Voronoff ?“
„ Goropoff ,
nicht Voronoff . Was soll der Versprecher? Scheint mir
gar nicht so unwichtig...“
„Das war Absicht. Also, was ist
aus ihm geworden?“
„Wie Covet schreibt: Er ist verschwunden. Eines schönen Tages im schönen Jahr 1939 ist er
zu einem geheimen Treffen gegangen. In der Hand eine Aktentasche, die
wahrscheinlich Akten enthielt. Was sonst. Man hat ihn nie wiedergesehen.“
Wir lesen weiter Zeitung.
Iwan Kostenko wohnte ganz in
der Nähe seiner Arbeitsstelle, in der Rue Joubert , in
einer Dienstbotenkammer. Die Polizei hat sie routinemäßig untersucht, obwohl
immer mehr an Selbstmord geglaubt wurde. Es ist aber nichts Sensationelles
dabei rausgekommen... außer einem Skelett, das in einer Ecke hing. Dieser
Ex-Weißgardist hatte wirklich krankhafte Neigungen. Noch ein Pluspunkt für die
Selbstmordthese.
„Mit etwas Glück ist das Goropoffs Skelett!“ sage ich lachend.
Pustekuchen! In diesem Monat
hab ich kein Glück mit Leichen. Zwei Zeilen weiter lese ich, daß diese makabre
Trophäe am 7. März im Auktionslokal in der Rue Drouot versteigert wurde. Die Quittung hat man bei Kostenkos Sachen gefunden. Ich
kratz mich am Kinn, Auktionslokal... Skelett... Da war doch was! Ach ja. Die
Zeitungen haben sich lang und breit über das Skelett ausgelassen. Jawohl! Das
Skelett einer Frau, mit einem Bein. Kein Käseblatt hat sich die Anspielung auf
eine bekannte Hure entgehen lassen. War es vielleicht das Gerippe der Frau mit
dem Holzbein, der „Einbeinigen von den Boulevards“, wie sie genannt wurde?
Zwischen Oper und Madeleine hatte sie gestanden. Die älteren Pariser konnten
sich noch gut an sie erinnern. Wundert mich, daß Marc Covet keine entsprechenden Anspielungen gemacht hat, so zur Auflockerung. Vielleicht
war er enttäuscht, daß Kostenko das Skelett einfach so gekauft hatte. Bestimmt
hat er auf was Aufregenderes gehofft. Na ja, jedenfalls keine Anspielung auf
die „Einbeinige von den Boulevards“. Dafür folgt aber weiter unten eine
Entschädigung. Zwischentitel:
FÜHRTE IWAN KOSTENKO
EIN DOPPELLEBEN?
Marc Covet stützt sich dabei auf die halbanonyme Aussage einer
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