Susan Andersen
hatte, dass sie dieses beschissene Graffiti-Gebäude anstarrten wie den verfluchten heiligen Gral oder so was. Also hatte er gedacht, hey, gut, vielleicht kennen die ein paar Tagger und Graffiti-Freaks aus der Gegend. Dass er dabei ausgerechnet die Person ansprach, nach der er seit Tagen suchte – wobei er sich hin und wieder die Finger verstauchte, weil er das Gefühl hatte, dass die Kids ihm Informationen vorenthielten –, wäre ihm niemals in den Sinn gekommen.
Aber so wie das Mädchen gerannt war, gab es keinen Zweifel. Sie hatte eine bestimmte Art, die Knie hochzunehmen und von null auf hundert zu beschleunigen wie ein gedoptes Pferd beim Emerald-Downs-Rennen. Der Junge neben ihr hatte längere Beine und mehr Muskeln gehabt und war trotzdem kaum hinterhergekommen.
Bruno gab die Suche auf und fuhr zurück in seinen eigenen Stadtteil. Er hatte keine Ahnung, was er jetzt tun sollte. Es sollte keine Rolle spielen, dass sie ein Mädchen war – sie war trotzdem eine Zeugin, die ihn mit einem einzigen falschen Satz hinter Gitter bringen konnte.
Und doch ...
Es spielte eine Rolle. Allerdings würde er jedem den Kopf abreißen, der ihm so etwas ins Gesicht sagte. Bruno hatte eine Nichte in ihrem Alter und konnte im Nachhinein überhaupt nicht begreifen, warum er nicht früher drauf gekommen war. Klar, diese Schlaksigkeit, fast nur Arme und Beine – dieses fohlenartige Stadium, das Mädchen auf dem Weg zur Frau durchmachten –, hätte ihm doch die Augen öffnen müssen.
Scheiße.
Nun, er würde alles über das Mädchen herausfinden und so viele Informationen wie möglich über sie ausgraben.
Und dann würde er sich überlegen, was er mit ihr anstellte.
Jase verließ das Harborview Traumazentrum, wo er den Mann besucht hatte, der bei dem Überfall auf den Juwelierladen im U District angeschossen worden war. Das Opfer lag noch immer im Koma. Bisher konnten die Ärzte kein Zeichen von Besserung erkennen. Das waren nicht gerade die Nachrichten, die Jase sich an diesem Samstagmorgen erhofft hatte.
Er stieg in seinen SUV und blätterte einen Moment seine Notizen durch, bevor er den Gang einlegte und auf die Straße bog. Er fuhr gerade die Yesler hinunter, als er einen Informanten sah, nach dem er seit Tagen suchte.
Gerade wollte er die Tür öffnen und den Spitzel am Arm packen, um sich einmal ausführlich mit ihm zu unterhalten, als sein Handy klingelte.
Was war das? Irgendeine kosmische Verschwörung, um zu verhindern, dass er den Typen traf? Denn es war nun schon das dritte Mal in dieser Woche, dass ihn jemand davon abhielt.
Auf dem Display las er Poppys Namen und ärgerte sich, dass sein Puls umgehend verrücktspielte.
Aber er hatte nicht umsonst sein Leben lang trainiert, keine Emotionen zu zeigen. Mit reiner Willenskraft verlangsamte er seinen Herzschlag, drückte die Sprechtaste und bellte: „Was?“
„Jason?“, erwiderte sie. Ihre Stimme fuhr ihm sofort in seinen ...
Mmh. Nein, Sir. Er richtete sich ein wenig auf, griff nach dem Stoff in seinem Schritt und zerrte ihn glatt. Wie alt war er – siebzehn? Verdammt, er musste endlich an irgendeinem Abend losziehen. Er kapierte selbst nicht, warum er es immer wieder verschob. Er war viel zu lange mit keiner Frau mehr zusammen gewesen.
Von ihr natürlich abgesehen. Aber da es kein befriedigendes Ende gegeben hatte ... „Was willst du?“
„Eine höfliche Begrüßung wäre schon mal ein Anfang“, murmelte sie. „Außerdem will ich, dass du dein Wort hältst. Aber ich schätze, mir aus dem Weg zu gehen, kostet dich deine ganze Zeit.“
Da hatte sie recht. Nicht, was das Worthalten betraf – aber bezüglich des Aus-dem-Weg-Gehens. „Vermutlich ist es ein Schock für dich, Sweetheart, aber ich habe einen Job, von dem die Steuerzahler verlangen, dass ich ihn ordentlich ausübe.“
„Den Kids gegenüber hast du auch eine Verpflichtung“, fauchte sie. Doch gleich darauf wurde ihre Stimme sanfter. „Tut mir leid, tut mir leid.“ Sie seufzte. „Glaub es oder nicht. Ich rufe nicht an, um dir auf die Nerven zu gehen. Wenn du wirklich nicht mehr bei dem Projekt mitmachen willst, werde ich deshalb keinen Streit anzetteln. Aber Henry ist heute Morgen nicht gekommen, und ich mache mir Sorgen.“
„Vermutlich hat er etwas Besseres vor, als mit dir Farbe auf ein Gebäude zu klatschen.“ Jase verlagerte unbehaglich sein Gewicht, denn alle drei Kids hatten sich viel verantwortungsvoller verhalten, als er erwartet hatte. Und Henrys Vater schien ein
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