Susan Price
er.
Er ging neben dem Feuer in den Schneidersitz und zog sie mit sich. Die Flammen waren nun näher und erhellten nicht nur sein lächelndes Gesicht, sondern ließen seine langen Haare gelb und seine Augen grau erscheinen. Sie verwirrte ihn, und er schüttelte leicht den Kopf, als er lächelte. In seinem Gesichtsausdruck lag Verwunderung, sogar ein wenig Schüchternheit. Er war so schön und so jung, dass sie nach ihm griff, ihn umarmte und ihren Kopf auf seine Schulter legte. Sie wollte ihn fest in ihren Armen halten, ihn wie einen Geliebten küssen; sie wollte seinen Fuß küssen wie, sie es bei dem Standbild Ings im Götterhaus getan hätte; sie wollte ihn schützend liebkosen, wie sie es bei ihren Söhnen tat. Sie fühlte sich mehr als nur ein wenig verrückt und erinnerte sich, wie seltsam ihr Athelrics Mischung aus Ehrfurcht und Zuneigung erschienen war.
Er hielt sie fest, während sie sich an ihn lehnte, und er umarmte sie, berührte ihren Kopf, ihren Rücken, drückte sie fest an sich. Seine Wärme umflog sie, und sein Duft aus Heu und Moschus umgab sie, und seine Haare glitten über ihr Gesicht, sanfter als jede Berührung. Sie hatte sich niemals so sicher und so glücklich gefühlt.
»Was ist denn?«, fragte er.
»Was habe ich bloß gesehen!« Sie hob ihren Kopf von seiner Schulter, sodass sie ihm wieder in die Augen schauen konnte. »Ich kenne Euch! Ich habe solche Angst – und ich bin so froh!«
Er lächelte wieder, schüttelte den Kopf, jung und verwirrt.
»Jetzt, wo ich Euch kenne«, sagte sie und erwiderte sein Lächeln, »jetzt weiß ich, dass wir sicher sind.«
Sein Lächeln verschwand. Er entließ sie aus seiner Umarmung, stand auf und wich vor ihr zurück. Ohne seine stützende Hand fiel sie mit den Händen nach vorn auf den Boden.
»Herrin, mich zu kennen gewährt keine Sicherheit«, sagte er. »Weder Euch noch sonst jemandem.«
DER HARFNER
Ingvald war ein großer Mann mit breiten Schultern und einem breiten Brustkorb, mit mächtigen Armen und riesigen Händen. Er trug einen Bart, und wie alle Dänen schnitt er seine hellbraunen Haare, »um den Hals zu entblößen und den Feind zu blenden«, doch auf seinem Kopf prangte eine kahle Stelle. Die Feierlichkeiten dieses Abends wurden ihm zu Ehren abgehalten, und deshalb hatte er eine feine Hose mit grünen und gelben Streifen und einen teuren Überwurf aus gelber Seide angezogen. Nun saß er auf seinem Bett, beugte sich über eine kleine Truhe und wählte die Ringe aus, die er an jedem Finger und an beiden Daumen tragen würde.
Ingvi trug bereits das Beste, was er besaß, und hatte es sich an der Wand auf einem Hocker bequem gemacht. Die Brüder hatten sich über zwei Jahre nicht gesehen, und trotzdem hatte Ingvi kaum ein Wort verloren.
Ingvald warf immer wieder einen Blick auf ihn, während er Ringe über seine Fingergelenke streifte.
Alle zwei Jahre erschien Ingvald an Loverns Hof, um seinen Treueschwur zu erneuern, und Ingvi freute sich immer sehr auf diese Besuche. In Ingvalds Gesellschaft war er wieder Däne – der Sohn eines Jarls, der Bruder eines Jarls, nicht einfach nur eine von Loverns Geiseln. Ingvald brachte ihm immer Geschenke, und obwohl Ingvi fast nichts besaß, versuchte er, seinem Bruder ebenso etwas zu schenken: ein Wolfsfell oder ein Hirschgeweih, alles von Tieren, die er selbst erlegt hatte. Tatsächlich trug Ingvald ein Messer mit einem Heft aus geschnitztem Hirschgeweih, das Ingvi ihm vor vielen Jahren geschenkt hatte. Ob er es nun trug, weil er es immer mit sich führte, oder ob er es hervorgeholt hatte, um bei dieser Gelegenheit seinem Bruder die Ehre zu erweisen, war ohne Bedeutung. Ingvi liebte ihn dafür.
Aber bei diesem Besuch schämte sich Ingvi auch für Ingvald. Ingvi war dabei gewesen, als sein Bruder mit Unwin Sassenach gesprochen hatte, wobei es um die Männer und Waffen ging, die er ihm geben sollte. Doch stattdessen hatte Ingvald vor allen Anwesenden bezweifelt, dass es sinnvoll wäre, die Sachsen anzugreifen, und gemeint, dass Geduld mehr erreichen würde als Waffen. Er bezweifelte auch, dass das Elfengesindel die Sachsen unter seine Knute zwingen könne. Es wäre durchaus möglich, dass die Sachsen die Arbeit für sie erledigen würden. Dann könnte Unwin als König und Held in sein Land zurückkehren, und es wäre viel billiger.
Ingvald hatte sich direkt an König Lovern gewandt, während er Unwin die Schulter zeigte, als ob er damit ausdrücken wollte: Diese jungen Männer, ohne ein eigenes
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