Susan Price
Königreich, können große Pläne schmieden und keinen Gedanken daran verschwenden, wie das alles bezahlt werden soll. Er selbst könne an so etwas überhaupt nicht denken.
Die letzten drei Ernten, hatte Ingvald gemeint, seien schlecht gewesen. Es falle ihm schwer, seine Männer vernünftig auszurüsten, und er wolle ihre Treue auch auf keine allzu harte Probe stellen. Er sei Loverns Untertan und werde jedem seiner Befehle gehorchen, aber …
Nur die Pflicht seinem Bruder gegenüber hatte Ingvi davon abgehalten, in diesem Moment die Halle zu verlassen. Als sie alle auseinandergegangen waren, um sich in ihre Räumlichkeiten zurückzuziehen und auf das Fest vorzubereiten, waren Worte der Freundschaft zum Abschied gesprochen worden. Aber obwohl Ingvi seinen Bruder zu seinen Räumen begleitet hatte und auch wieder zum Fest begleiten würde, fiel es ihm schwer, auch nur ein Wort mit ihm zu wechseln.
Ingvald blickte auf und wartete. An jedem Finger trug er nun einen Goldring und an seinen Daumen größere Ringe, die mit Granaten besetzt waren.
Ingvi versuchte, hochmütig dreinzublicken, aber als er Ingvald lächeln sah, wandte er den Blick ab und rutschte unruhig auf dem Hocker herum, als ob er im Unrecht wäre.
Ingvald durchstöberte seine Schmuckschatulle. Er zog Ingvis Aufmerksamkeit mit einem Pfeifen auf sich und warf ihm etwas zu, das im Feuerschein glitzerte.
Ingvi fing es mit beiden Händen auf. Es war eine große runde Brosche, mit der sich ein Mantel befestigen ließ, und sie hatte die Form zweier ineinander verflochtener Drachen, die sich gegenseitig in den Schwanz bissen. Beide Drachen trugen einen Granat als Auge. »Trag sie«, sagte Ingvald. »Behalte sie.«
»Danke«, sagte Ingvi, nicht mehr.
»Komm her.« Ingvalds Worte klangen sehr nach einem Befehl, und Ingvi kam an seine Seite. Ingvald sortierte einige Ringe aus dem Durcheinander des Kistchens aus, ergriff die Hand seines Bruders und setzte sie ihm auf.
»Ich dachte, du wärst arm«, meinte Ingvi. »Ich dachte, die Ernte wäre schlecht und du könntest deine Männer nicht ausrüsten.«
Ingvald schüttelte grinsend den Kopf, während er das Schmuckkästchen schloss. Jetzt verstand er, was nicht in Ordnung war. Ingvi war allein am Hofe Loverns und hatte dem Sassenach zugehört, wie dieser davon sprach, den Wölfen ein Festmahl zu bereiten. Er war wütend und trotzig, weil Ingvald nicht mit Freuden bereit war, die Schlachten eines Christen zu schlagen.
Aber Ingvi lebte natürlich unter Christen. Er war mit ihnen befreundet und versuchte, Loverns Gunst zu erringen. Der Gedanke schmerzte Ingvald, aber er zweifelte daran, ob er es sich leisten konnte, ehrlich zu seinem eigenen Bruder zu sein. Doch Ingvald war kein Narr, und auch dieser Gedanke musste in Erwägung gezogen werden.
»Hat Lovern mit dir schon über eine mögliche Heirat gesprochen?«
Ingvi schaute überrascht auf, denn er hatte nur Blicke der Bewunderung für die Ringe an seinen Fingern gehabt. »Nein.«
»Er will dich an irgendeine Christin verheiraten.« Ingvis Begeisterung für diese Idee schien sich in Grenzen zu halten. »Ich will dir eine Frau in Dänemark suchen.«
Nun war Ingvis Interesse geweckt. Als er aufschaute, erkannte Ingvald im Gesicht seines Bruders, wie es hinter dessen Stirn arbeitete. Ingvald selbst war mit der Tochter eines dänischen Jarls verheiratet. Wenn er für Ingvi eine ähnliche Heirat ins Auge fasste, die Verbindung zu ihrer Heimat also stärkte, könnte sich Lovern übergangen und gefährdet fühlen. Und eine dänische Hochzeit wäre eine heidnische Hochzeit, gesegnet von Thonur und Freya, nicht von Christus. Lovern würde niemals erlauben, dass seine dänische Geisel mit einer Frau aus Dänemark verheiratet wurde. Wenn Lovern dem also nie zustimmen würde … Was hatte Ingvald vor?
»Wir müssen zum Fest.« Ingvald nahm seinen Umhang und warf ihn sich über. Zusammen gingen sie hinaus, zuerst in den großen Saal von Ingvalds Unterkunft, wo ihre Eskorte auf sie wartete, und dann hinaus auf den kalten Hof der Wallburg.
Ingvald hatte Ingvi angesehen, wie sehr ihn die drohende Zerreißprobe mitnahm – zwischen Lovern, an dessen Hof er groß geworden war, und Ingvald, dem er als Mitglied seiner Familie Treue schuldete. Also hatte er seine wirklichen Gründe, sich nicht auf Unwins Seite zu schlagen, für sich behalten. Warum sollte das kleine heidnische Reich eines Jarls, dessen Herr ohnehin schon in Diensten eines christlichen Königs stand, ein anderes
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