Susan Price
mir einen Gefallen tun.«
Unwin wartete, aber Wulfweard sagte nicht, um welchen Gefallen es sich handelte.
»Sag mir, was es ist.«
»Du musst mir zuvor versprechen, dass du ihn erfüllst.«
»Kleiner Bruder, wenn du denkst –«
Unwin hielt eine Hand Wulfweards. Jetzt legte Wulfweard die andere über Unwins und hielt die Hand des älteren Bruders zwischen seinen. »Bitte, Unwin! Bitte, erfüll es mir!«
Unwin stand kurz schweigend da. Dann fragte er: »Worum geht es?« Sein Ton verriet, dass er bereit war, jeden Wunsch zu erfüllen, ganz gleich, worum es sich handelte.
»Lass mich derjenige sein, der dem Elfen den Kopf abschlägt.«
Unwin löste seine Hand und packte den Jungen bei den Schultern. »Streiten wir wieder darum?«
»Aber wir können es tun – wir können es! Die Priesterin – sie –« Unwin spürte das Beben, das durch den Leib des Jungen lief. »Hör zu, Unwin, die Priesterin sagt – es gibt andere Welten!« Wulfweard blickte Unwin mit großen Augen an, in denen sich das Licht fing, als könne er Unwin zwingen, ihm zu glauben, wenn er ihn nur durchdringend genug anschaute.
Unwin nickte. »Es gibt den Himmel, und es gibt die Hölle.«
Wulfweard schaute hinter den Bruder in die Schatten um den Altar. »Der Elf ist in die Anderswelt gegangen.«
Unwin lachte und zog Wulfweard an sich. Er umarmte ihn überschwänglich, klopfte ihm auf den Rücken und rieb ihn, um ihn zu wärmen und das Zittern zu vertreiben. »Dann ist der Bastard außer Reichweite! Lass uns ein Weilchen warten, ehe wir uns streiten, wer ihm den Kopf abschlagen soll.«
Wulfweard stieß Unwin von sich. »Nein!«, erklärte er und streckte seine Arme gegen die Brust des Bruders. »Nein!«
»Nein?«, wiederholte Unwin verwundert.
Ein dunkler Schemen bewegte sich bei der Tür im düsteren Licht. Abrupt drehte Unwin sich um. Wulfweard wandte sich langsam um, da er wusste, wer dort war.
Athelric kam näher und sah sich neugierig in der Kapelle um, welche er nie zuvor betreten hatte. »Es ist nicht nötig zu warten«, sagte er zu Unwin. »Wir wissen, wo der Bastard ist. Aber wir brauchen jemanden, der dem Pfad in die Anderswelt folgen und ein Schwert schwingen kann.« Athelric schaute Wulfweard an.
»Wir?«, fragte Unwin ungläubig. »Du willst den Kopf dessen, den der König zum Thronfolger ernannt hat?«
»Und der meinen Neffen getötet hat«, fuhr Athelric fort. »Ich würde ihn selbst einen Kopf kürzer machen, aber ich habe nicht die Gabe, in andere Welten zu reisen – wie Wulfweard.«
Unwin war unbehaglich, als er sah, dass Wulfweard wieder Schulter an Schulter mit Athelric stand. Es war so dunkel in der Kapelle, dass er seinen Bruder kaum richtig erkennen konnte: Nur helle Flecken in der Dunkelheit, wo Gesicht und Haar das Licht einfingen. Athelric bewegte sich in der Dunkelheit und legte Wulfweard die Hand auf die Schulter.
»Ich erfülle dir deinen Wunsch«, erklärte Unwin. »Schlag dem Bastard den Kopf ab – wenn du kannst.«
»Das Kreuz wird auf meinem Schild sein«, sagte Wulfweard. Es war, als wolle er zu seinem Bruder gehen, doch sein Vatersbruder hielt ihn zurück.
Unwin deutete auf den Altar. »Wir sollten für den Erfolg beten.«
Wulfweard rührte sich wieder, und diesmal ließ sein Vatersbruder ihn gehen. Die Brüder knieten Seite an Seite vor dem Altar. Athelric beobachtete sie kurz, dann verließ er die Kapelle.
Wulfweard murmelte leise Gebete in die gefalteten Hände. Unwin hielt den Kopf gebeugt und hatte die Hände ebenfalls gefaltet, doch betete er nicht, sondern betrachtete aus dem Augenwinkel, wie die Haare auf dem Kopf des Jungen im Licht der Altarlampe wie Goldfäden schimmerten. Er verspürte große Traurigkeit über den Verlust seiner Brüder.
Gut, Wulfweard konnte den Kopf des Bastards abschlagen. Gut, sollte er doch mit der Hilfe von Athelrics Weibern die Welten durchstreifen. Sollte es ihm gelingen, das Halbding zu töten – gut und schön! Sollte er verlieren und sein Körper sterben – auch gut, denn das ersparte Unwin eine unangenehme Aufgabe, welche er immer deutlicher sah und die er eines Tages in Angriff würde nehmen müssen. Ganz gleich, wie sehr du deine Brüder liebst, dachte Unwin mit Schmerzen im Herzen, du wärst ein Tor, würdest du dir erlauben, ihnen zu vertrauen.
JARNSEAXAS LEHREN
Das weiße Ross machte einen Satz und stürmte durch die Luft dahin. Die Stahlglöckchen an seinem Zaumzeug klingelten. Dann verschwand es von dieser Welt mit dem brennenden Gehöft
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